Blast from the past

Ich liebe Halloween. Kürbisschnitzen, schlechte Horrorfilme gucken, buntes Herbstlaub und abgedrehte Parties. Diesmal gestaltete sich All Hallow’s Eve jedoch geringfügig anders als sonst. Wir waren auf der Chemikerparty, wo ich mir recht deplaziert vorkam. Immerhin meinte eine nette Russin ich sähe aus wie Jean Reno. Das habe ich mal als Kompliment aufgefasst…sicherlich mit das Netteste, was man zu einem kahlköpfigen und unrasierten Penner sagen kann…

Aber eigentlich wollte ich doch wie in guten alten Zeiten die Halloweenparty der Anglisten unsicher machen und hinterher turbostrulli in die Koje fallen. Meine allererste Party in der familiär kleinen Vorhalle zur Anglistik ist mir immernoch lebhaft vor Augen und wird sich auch nur schwer durch ein anderes Partyerlebnis überschreiben lassen.
Seinerzeit versuchten wir zunächst mit fünf Mann in der Warteschlange Ruhe zu bewahren und unserer Vorfreude Herr zu werden. Der Hälfte von uns riß jedoch nach kurzer Zeit der Geduldsfaden, so dass sich ein Lutscher-Trio abspaltete und in Richtung der Konkurrenzveranstaltung der Chemiker-Pappnasen absetzte. Ein fataler Fehler.

Als Andi und ich es als überschaubarer Überrest unserer Truppe endlich über die Schwelle geschafft hatten, konnten wir das Fun-Potential das Abends noch nicht erahnen. Die meisten Mädels, verkleidet oder nicht, schienen anbagerungswürdig und die Musik war passabel. Anglisten sehen im Vergleich zu anderen Fakultäten eben einfach besser aus und haben den besseren Musikgeschmack, ist ja klar. Wir beschlossen natürlich erstmal vollzutanken und begaben uns zur „Theke“ (Aneinander geschobene Tische mit sowas von armen Schweinen dahinter, die die halbe Nacht besoffene Vollspacken im Akkord bedienen dürfen).

Mit dem ersten Bier in der Hand trafen wir dann noch ein besonders lustiges Grüppchen von Komillitonen, die ganz moderat mit einer Flasche Rotwein pro Nase „vorgeglüht“ hatten. Mit diesen Trunkenbolden sollten wir im Verlauf des Abends noch abgehen wie Jim Carrey auf Speed. Zunächst aber wippten wir nur schüchtern zur Musik wie alle anderen männlichen Bewegungs-Legastheniker, während wir verstohlen, an unseren Bierflaschen nuckelnd die herrenlosen Anglistinnen scannten, die paradiesischer Weise in übersichtlichen Dreier- und Vierergrüppchen angeordnet waren.
Ich weiß nicht mehr, wann wir Alkohol-technisch die kritische Masse erreicht hatten, doch ein halbwegs brauchbarer Indikator waren sicherlich die Namensschildchen der Dozenten, die wir scheinbar plötzlich vom schwarzen Brett geklaut und gut lesbar an unseren Jacken befestigt hatten. Einmal selbst in die Rolle des Dozenten schlüpfen, das erscheint dem Bier-durchweichten Gehirn einfach als nobelpreisverdächtige Idee. Dementsprechend schnell verpufften auch sämtliche Bedenken bezüglich der Tragweite der Anmaßung in meiner Denkvorrichtung, weswegen ich mir mit wilder Freude im Herzen schnell das Namensschildchen meiner jungen Dozentin für Sprachwissenschaft schnappte. Bei meinem Glück vermutlich überflüssig zu erwähnen, dass sich eben diese, von jugendlicher Regression beseelt, plötzlich mystischer Weise unter den Tanzenden befand.

Überrascht tippelte ich grinsend zu ihr herüber, um sie auf Englisch vollzutexten. Ich glaube das Lächeln auf meinen Lippen erstarb gleichzeitig mit der Realisation, dass ja ihr Namensschild auf meiner Brust prangte. Ich fühlte, wie sich in Sekundenschnelle ein fußballgroßer Kloß in meinem Hals materialisierte, als mein Blick angsterfüllt nach unten wanderte. Doch die Götter kannten Erbarmen. Anscheinend war das Schildchen dank meiner trunken-spastischen Tanzbewegungen irgendwann abgefallen. Ich überlegte noch kurz, ob ich mir das Schildchen vielleicht, strulli wie ich mittlerweile war, an die Stirn geklebt hatte, doch dem war, den Göttern sei Dank, nicht so. Als die gute Frau dann später wieder in der Menge verschwunden war, meine ich mich zu erinnern, noch ab und an ihren Namen, gefolgt von „I love you“ über die wabernde Menge gegröhlt zu haben. Junge, ich war nicht blau, ich war schon dunkelblau…

Irgendwann bin ich dann dazu übergegangen die kleine Inderin anzugraben, auf die das ganze Seminar scharf war. Diese war jedoch selbst so weggebombt, dass sie mir nur noch wenig Beachtung schenken konnte. Sie fand es zu diesem Zeitpunkt einfach deutlich spassiger zum Männerkloh zu rennen und die verdutzten Studenten an den Pissoirs vom Waschbecken aus nass zu spritzen. Ihr schrilles Gelächter war immer wieder zu hören, wenn man selbst mal einen strammen Wasserstrahl absondern wollte und sich in Richtung der Auffangbecken bewegte.

Und dann drehte die Party völlig ab: Die meisten Männlein und Weiblein hatten durch Ströme von Bier nun entgültig die Schallmauer durchbrochen und tanzten auf den Tischen. Auch meine kleine Inderin hatte sich bereits über die Menge erhoben und einen Tisch in der Nähe der Treppe zu ihrer privaten Tanzinsel erklärt. Zu ihren Füßen hatte sich eine Traube von geifernden Alkoholleichen versammelt, die zu blau und zu schüchtern waren zu der Göttin auf die Bühne zu steigen.

Der Eroberer in mir erwachte mit einem kehligen Knurren. Kurzentschlossen pflügte ich durch den Ring ihrer Jünger und schaffte es wie durch ein Wunder hinter ihr auf den Tisch zu klettern ohne gleich auf der anderen Seite wieder einen Abgang zu machen. Was dann passierte, hat unglaublich viel Spaß gemacht und für einen nüchternen Beobachter sicherlich einfach nur grotesk peinlich ausgesehen. Die sexy Inderin stand mit ihrem Rücken an mich gepresst, so dass ich mit meinen Tanzbewegungen die ihrigen lenken konnte. Ich muß wohl irgendwie mit meinen Knieen so seltsam vor und zurück gegangen sein, dass mir meine Tanzpartnerin mehrmals mitteilte ich solle aufpassen sie nicht vom Tisch zu „stoßen“. Hinterher berichtete man mir außerdem, es hätte ausgesehen als hätte ich sie dort oben „befruchten“ wollen…In dem Moment allein mit ihr auf dem Tisch, tanzend über einer Schar von neidischen Versagern, war mir jedoch alles im wahrsten Sinne des Wortes „Latte“. Ich hatte, was alle wollten, sich aber nie getraut hätten für sich zu beanspruchen. Eigentlich komisch, denn die grölenden Zombies zu meinen Füßen hatten doch genauso viel gebechert wie ich…
Am nächsten Morgen ist mir zudem bewußt geworden, dass ich an dem Abend prima hätte mein Leben lassen können. Der Pornotisch samt Shiva stand nämlich genau am Geländer zur Treppe nach unten. Ein falscher Tritt beim Tanzen auf dem schmalen Tisch und ich hätte einen stylischen Rückwärtsdive gen Ausgangstür gemacht, sicherlich begleitet von schadenfrohem Gejaule meiner Konkurrenten.

Auch mein blaublütiger Freund Andi war mittlerweile auf den Geschmack gekommen und tanzte mit ein paar anderen Mädels auf einem benachbarten Tisch. Anscheinend reichten ihm jedoch die Chicks um ihn herum nicht, da er einen weiblichen Groupie aus der Menge dazu auserkoren hatte, zu ihm auf den Tisch zu steigen. In der einen Hand die Bierflasche, streckte das lebende Hemd, Andi, zuversichtlich seine Hand aus, um seiner Holden auf den Tisch zu helfen. Die ihrerseits nicht ganz so schmächtige Fau setzte einen Fuß an der Tischkante an und zog dann kräftig an Andis Gummiarm. Selten sah ich so einen vollendeten Köpper von einem Tisch in die wartende Menge. Doch anscheined hatte sich Andy bei dem Stunt nicht ernsthaft verletzt, denn schon bald sah ich ihn zwischen den Tanzenden wahllos Frauen ansprechen. Dabei ging er äußerst konsequent und methodisch vor, mit dem Bier-induzierten Motto „Quantität vor Qualität“. Lehnte eine Auserwählte überraschender Weise sein lallend vorgetragenes Gesuch ab, sprach er einfach unzeremoniell und ohne jede Trauerfrist die Freundin an, die daneben stand. Eine Supertaktik. Ich kam bei dem Anblick aus dem Lachen kaum noch raus, königlich….

Nachdem Andi also das gesamte englische Seminar klar gemacht hatte und ich mich auf dem Tisch nicht mehr halten konnte, beschlossen wir den Heimweg anzutreten. Andi begleitete mich noch ein Stück nach Hause, wobei wir uns gegenseitig stützen mußten, so wie zwei Spielkarten, die man zu einem Häuschen zusammenschiebt. Nachdem ich dort angelangt war, ist Karte Nr.2 zum Bahnhof gewankt, um den letzten Bus zu erreichen. Später erzählte er mir, dass er in diesem eingepennt, einmal komplett rund gefahren und dann vom Ausgangspunkt zu Fuß nach Hause getorkelt ist. Arme Socke…

Über Thilo (1200 Artikel)
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