Die güldenen Kränze

Ein klassisches Säufer-Drama in 5 Phasen

Dramatis Personae:

Ich
Ein schwuler Freund
Der General
Der Jurist
Die Krankenschwester

Bei mir um die Ecke gibt es so einen gut-bürgerlichen Imbiss mit ansprechenden Angeboten im Bier- und Schnitzelsegment. Dort hatte sich vergangenen Freitag ein Freund von mir mit seinem Lebensabschnittsgefährten und einem befreundeten Pärchen eingefunden.

Kurz nach 19.00 Uhr ruft mich dieser an, um mich mit der Aussicht auf kostengünstigen Gerstensaft, der kranzweise ausgeschenkt wird, in besagtes Etablissement zu locken. Ich lehne zunächst dankend ab, da ich am selben Tag bereits mit einem anderen Kumpel dort zu Mittag gegessen hatte. Außerdem habe ich zu dem Zeitpunkt wenig Lust mich in die Gesellschaft von zwei bereits angeheiterten Pärchen zu begeben. Nur wegen billigem Bier? Wohl kaum.

Phase 1 (Einführung in die illustre Runde): 1. und 2. Kranz.

Ungefär fünf Minuten später bin ich vor Ort. Als ich noch reihum Hände schüttle, wird ein leerer Kranz Bier gegen einen neuen, mir gar gülden entgegen-leuchtenden, neuen ausgetauscht. Nach den ersten Schlucken merke ich, wie ich von einer tiefen Dankbarkeit erfüllt werde, daß ich genau diesen Schwulen in meinem Freundeskreis habe. Eine zeitlang war es ja absolut en vogue und für einen weltoffenen Metropoliten unverzichtbar, einen Schwulen als Style-Berater und unkomplizierten Frauenversteher zur Hand zu haben. Zwischen ihm und mir ist es jedoch anders, tiefer, ehrlicher…Er ruft mich an, um mich an einem Saufgelage teilhaben zu lassen. Er ist wirklich ein guter Freund.

Das befreundete Hetero-Pärchen besteht aus einem sportlichen Juristen mit Baseball-Kappe und einer blonden Krankenschwester mit Schlafzimmerblick. Ich sehe genauer hin. Oh nein, Sie ist eine DIESER Frauen! Üppiges und naiv-verspielt zur Schau gestelltes Dekolleté, gepaar mit einem sehr attraktiven Antlitz. „Schon vergeben“ steht auf ihrer Stirn und ich muß mich beherrschen nicht den Rand meines Bierglases abzubeißen. Ich beschließe, ihren Freund durch mein umwerfendes Charisma und meine diabolische Eloquenz ins Seitenaus zu manövrieren, um sie im Anschluß leichter ausspannen zu können.

Phase 2 (Steigender Pegel): 3. Kranz

Mein Vorhaben den Juristen ob seiner geilen Schnalle zu hassen, scheitert im Ansatz. Er entspricht natürlich keinem Klischeé und erweist sich als amüsanter Witzeerzähler. Schon weiß ich, daß man dem Mann aus moralischen Gründen nicht an den Karren pinkeln kann und ich versuche die Frau mit dem Schlafzimmerblick zu ignorieren.

Derweil bewerfen sich die warmen Brüder superlustig mit Nüßchen. Schnell werden jedoch aus den Nüßchen harte Handkantenschläge und die beiden spielen abwechselnd die beleidigte Leberwurst. Ich beachte die Beiden nicht weiter und sehe das ganze als geplantes Rollenspiel mit anschließendem Versöhnungssex. Apropos: Hin und wieder streifen meine Äuglein dann doch die Blonde Bombshell, die mir schräg gegenüber sitzt. Wieder ermahne ich mich gedanklich sie nicht hart durchvögeln zu wollen. Außerdem ist sie blond und ich stehe auf brünett.

Das erste Glas geht zu Bruch. Der Jurist hatte etwas weiter mit seinem Arm ausgeholt, um der Pointe eines Witzes mehr Ausdruck zu verleihen. Das Bier läuft dem Berufssoldaten, dem Coituspartner meines schwulen Freundes, über die Hose. Sichtlich ringt er um Beherrschung.

Phase 3 (vorläufige Klimax): 4. Kranz

Die Welt stellt sich mir nun schon sehr rosig dar. Der Imbiss ist wegen des billigen Bieres rappelvoll und ich fühle mich inmitten der anderen Säufer beschützt und geborgen.
Das allgemeine Witzniveau hat sich auf einer recht niedrigen Ebene eingependelt: „Alle bremsen vor der Schlucht, nur nicht Peter, der geht noch’n Meter…“ Ich lache als gäbs kein Morgen. Geistesgegenwärtig lange ich nach einem Bierglas, um ein wenig weißen Schaum in den Mund zu nehmen. „Was sagt eine Blondine nach dem Blasen…?“ Die Krankenschwester blickt mich bedeutungsvoll an. Das „Danke!“ während mir Schaum aus dem Mundwinkel läuft, erspare ich mir und blicke verlegen zur Seite.

Der schwule Berufssoldat hat sich derweil auf sein Lieblingsthema eingeschossen. Immer wieder lehnt er sich trunken zu mir herüber: „Isch sach ma, isch hab ne gewisse Qualifikation – gutes Abi, sehr gutes Studium…ich will ja noch was erreichen. Da kann ich mich beim Bund doch nicht outen! Früher oder später bin ich eben General.“ In vino veritas. Auch als er mir die Problematik das fünfte Mal schildert, nicke ich verständnisvoll.
Dann schießt der General jedoch den Vogel entgültig ab. Mit der Präzision eines Einser-Kandidaten hebelt er sich ein Schnitzel samt Pommes auf die Hose. „Ist aber auch eng hier“, entfährt es ihm durch zusammengepreßte Zähne. Der Arme will doch mal General werden.
Sein schwuler Freund lacht, das sich die Balken biegen. Wir auch.

Der Jurist könnte jetzt die ganze Welt umarmen. Immer wieder berührt er mich am Arm, um mir dies nochmal mitzuteilen. Ich kenne den Effekt und nicke nur grinsend; dabei komme ich mir unglaublich reif und erfahren vor. Dann macht er mich auf die polnische Bedienung aufmerksam, welche bis dato sehr geduldig all unsere Schweinereien aufgepuzt hatte: „Die Polin…die in dem Weißen, is’ schon geil, oder?“ Seine Freundin schaut betreten zur Seite. Ich nicke natürlich anerkennend. Nur kurze Zeit später erfahre ich, daß er mit seiner Krankenschwester nun schon achteinhalb Jahre zusammen ist und sich diese ihm zu Liebe die Haare von brünett nach blond gefärbt hat. „Die weiß halt, worauf ich stehe…“ Diesmal bin ich es, der um Beherrschung ringen muß.

Phase 4 (Retardation der Denkfähigkeit): 5. Kranz + ekelige Ouzo-Runde

Mir wird klar, daß ich mal eine eigene Kneipe aufmachen will. Endlich jeden Tag mit guten Freunden saufen. Dabei esse ich Erdnüsse wie ein Roboter.

Mit dem Juristen handle ich mittlerweile Themen von globaler Bedeutung ab. Würde man als Hetero – wenn vor die unausweichliche Wahl gestellt – eher mit einer potthäßlichen Frau oder einem Adonis von Mann die Nacht verbringen? Trunken, blicken wir uns liebevoll an. Die Antwort liegt auf der Hand.
Auf seine Frage, ob Schwule einfacher Sex finden und diesbezüglich unkomplizierter sind, würde ich nach einem Klobesuch präzise antworten können. Beim Urinieren stütze ich mich lässig mit der Stirn an der Wand ab, während ich mich wie ein Kind über jedes Tor beim Pissoir-Fußball freue. Als ich den schmuddeligen Ort verlassen will, passiert es. Die Tür geht nach innen auf, wodurch ich mit meinem Hintern jemanden, der nachgerückt ist, vom Waschbecken verdränge. Entschuldigend wende ich mich zu einem glatzköpfigen Mittvierziger um: „Sorry, ist ganz schön eng hier.“ Der androgyn aussehende Mann wirkt beunruhigend nüchtern, als er entgegnet: „Ich mag das.“ Schnell wechsle ich Ort und Gesichtsfarbe.

Wieder am Tisch, mahnt die kesse Polin zur Mäßigung: „Wißt ihr überhaupt, wieviel ihr schon getrunken habt? Nicht, daß ihr euch hinterher über die Rechnung wundert!“ Der Jurist winkt nur betäubt ab, während mein Bekannter eine Runde Ouzo bestellt. Ich hasse doch Ouzo! Habe mal davon mein Innerstes nach Außen kehren müssen. Der Nebel in meinem Geist legt sich jedoch zärtlich über eine aufkeimende Erwiderung und ich lasse es geschehen.

Dann der Supergau, aus dem ich wie durch ein Wunder schadfrei hervorgegangen bin: Die mittlerweile leicht verunsicherte Polin versucht ein Windlicht auf unserem Tisch zu entzünden, während wir reihum die Flamme ausblasen. Dabei kichern wir wie bekiffte Muppets. Entnervt, gibt die Bedienung irgendwann auf. Mein Kumpel will nun die Kerze seinerseits entgültig entzünden. Der Jurist scheint jedoch den Spaß am Ausblasen noch nicht ganz verloren zu haben und läßt dem Kasper in sich noch ein letztes Mal freien Lauf. Ob dieser Dreistigkeit kippt ihm der tapfere Lichtspender ein Bier entgegen… Fassungslos blicken wir alle in die Runde.
„Weiß jetzt nicht, warum der Abend so enden mußte“, durchbricht dann der Jurist die Stille, während seine Freundin zum Aufbruch drängt. Gerne würde ICH sie nach Hause begleiten… Mit einer versöhnlichen Miene hebt er das Glas zum Toast. Als wir uns alle nach vorne beugen, um die Gläser erklingen zu lassen, erkenne ich die List. Doch zu spät. Grinsend kippt der Jurist seinem Gegenüber das Bier über den Kopf, während er selbst eins in den Nacken geschüttet bekommt. Beide lachen künstlich und werden wieder still. Ich genieße den Film und frage mich, wieso ich noch in trockenen Klamotten am Tisch sitzen darf.

Phase 5 (Katastrophe): 6. und 7. Kranz

Wir trinken die letzten Biere, während viele der um uns herum stehenden Leute einen respektvollen Abstand halten. Die Krankenschwester, deren Schlafzimmerblick sich in ein handfestes Schielen verwandelt hat, ist nun weniger interessant für mich. Ich habe beschlossen mein restliches Leben mit der polnischen Bedienung zu verbringen, deren Schönheit mir nun wie Schuppen von den Augen fällt. Ich werde mit ihr heldenhaft in die Wildnis Kanadas durchbrennen, wo ich für sie jagen und töten werde. Mit bloßen Händen. Der Gedanke läßt mich breit grinsen und ich nehme noch einen Zug von meiner geschnorrten Kippe. Ja, ich bin Promilleraucher. Und nein, ich finde das auch nicht gut.

Ein lallender Zombie, der mich anrempelt, reißt mich aus meinen Träumen. Ich erkenne den Mann als den Initiator der Bierschlacht, der sehr zu meiner Freude in den Imbiss geht und die gesamte Rechnung begleicht.

Als ich aufstehe, schlägt mir ein Unsichtbarer mit einem Hammer eine Zahl auf den Kopf: Zwanzig. Das müssen ungefär die Stangen an Bier gewesen sein, welche ich mir einverleibt habe.
Fair is foul and foul is fair. Doch vor allem ist oben unten und unten ist oben. Als ich über die Straße laufe, habe ich das Gefühl ich müßte in das bodenlose Nichts unter mir stürzen, doch anscheinend halten mich meine Magnet-Turnschuhe an der Decke fest. Mein Kumpel nimmt mich zum Abschluß nochmal in den Arm und möchte wissen, was ich das nächste Mal mache, wenn er mich aus einem Trinkschuppen anruft. Ich anworte wahrheitsgemäß, daß ich für eine ähnliche show jeden Termin absagen würde. Zufrieden wendet er sich daraufhin um und wankt in die Nacht, immer dem General hinterher.

Doch anstatt jetzt nach Hause und ins Bett zu gehen, habe ich die wunderbare Idee mir noch irgendwo ein ALLERletztes Bier zu besorgen. Auf halber Strecke bemerke ich den Eingang zu einer mir wohlbekannten Kellerspelunke. Tapfer steige ich die düsteren Stufen hinab in ein Reich der geplatzten Träume und gescheiterten Existenzen. Das sonore „Willkommen…“ des Oberdämons hinter dem Tresen ignoriere ich zunächst, um noch einmal ein stilles Örtchen aufzusuchen. Auf dem Weg hin und zurück versuchen mich einige verlorene Seelen in den Fokus zu bekommen, indem sie ein Auge zukneifen. Mich schauderts und ich denke mir „Du nimmst dir nur wozu du hergekommen bist und verschwindest wieder.“ Nur nicht zurückblicken, Orpheus… Zielsicher greife ich mir das schwulste Bier, das der Laden zu bieten hat aus einem Kühlschrank und bezahle beim Fährmann. Auf der Flasche ist ein Herz mit einem Anker darin abgebildet, Astra heißt das Gebräu. Ich kippe es runter wie Wasser und kann mich beim besten Willen nicht mehr an den Geschmack erinnern. Endlich zu Hause angekommen, falle ich bald in eine barmherzige Ohnmacht.

Über Thilo (1213 Artikel)
Hi, ich bin der Gründer dieses bekloppten Blogs. Außerdem Realitätsflüchter, Romantiker, Rollenspieler, Gamer, Fantasynerd, Kneipenphilosoph und hochstufiger Spinner. Manchmal jogge oder schwimme ich, doch meistens trinke ich Bier.