Ein Blick in die Zukunft [insider]
Hier habe ich noch einen alten Text ausgegraben, den ich euch nicht vorenthalten möchte. Ich glaube, den habe ich irgendwann 2000 geschrieben, als Marcus noch Polizist werden wollte und Jörg uns mit einer gewagten Unfallstatistik zu beeindrucken versuchte.
Ein Blick in die Zukunft …
Freitag, 4.9.2015, abends.
T. hatte Jörg und Gabriel mit dem Auto abgeholt. Kein Wölkchen zeigte sich am sternenklaren Firmament, als die drei Freunde mit ihrem Hovercraft in Richtung Kino surrten. „Autopilot hat übernommen, danke schön“ ertönte die melodiöse Stimme des weiblichen Bordcomputers, als sich T. behaglich in seinem Sitz zurücklehnte und gedankenverloren die vorbeirauschenden Neonreklamen der Hochhauskomplexe seiner Stadt betrachtete.
„Hoffentlich kriegen wir noch Karten !“ krähte der wie immer euphorische Gabriel von der Rückbank und erinnerte ihn damit schmerzlich an die rund 30 Credits, die er heute Abend wieder in dem Konsumtempel namens Holokino lassen würde. „Hey, bleib mal geschmeidig, wir sind ja wohl überpünktlich losgedüst“ entgegnete er gelassen und aktivierte gleichzeitig per Fernbedienung die künstliche Dormicumdrüse, die zur Sicherheit in Gabriels Gehirn implantiert wurde. Das würde seinen übereifrigen Freund bis zum Cineplex ruhigstellen. Dann warf er einen besorgten Blick auf den neben ihm sitzenden Jörg, der wie gewöhnlich eher verdießlich dreinblickte. All die Bionik-Implantate hatten doch sehr an der Essenz seines Freundes genagt. Über vierzig Autounfälle forderten nunmal ihren Tribut…. Immerhin war er nun größer, schneller und stärker als der beste unmodifizierte Spitzensportler. Leider auf Kosten seiner lebensbejahenden Fröhlichkeit, die ihn einst unverwechselbar gemacht hatte. Trotzdem rang sich Jörg nun ein müdes Lächeln ab und blickte ihn über den Rand seiner Eagle-Eye-Infrarotsonnenbrille an. „Der Film kann nur scheiße werden. Alien 7 hätten sie sich echt sparen können. Was für ein verdammter Müll!“ T. hatte jedoch keine Zeit seinem neurotischen Freund etwas darauf zu erwidern, da sein Hovercraft gerade mittels Fangstrahl auf den Seitenstreifen manövriert wurde. „Was zum Geier….?“ entfuhr es ihm, als ihm der Monitor der Heckkamera einen Polizeiwagen zeigte. „Auch das noch, eine Stichprobenkontrolle – am Ende kommen wir doch noch zu spät“ gab er in einem gequälten Tonfall von sich und drehte sich mit einer bedauernden Grimasse zu Gabriel um. Als Antwort brachte dieser jedoch nur ein apatisches Grinsen zu Stande, wobei sich ein dicker Speichelfaden von seiner Unterlippe abseilte. Ach ja, die Drüse….
Der Wagen war nun komplett zum Stehen gekommen und schwebte gelangweilt zischend über einer der Haltebuchten. T. öffnete genervt das Fenster, als auch schon eine dunkle Gestalt durch die Nebelschwaden auf sein Vehikel zustapfte. Das metallische Klacken der Strahlenschutzstiefel jagte ihm einen Schauer über den Rücken, obwohl er ein reines Gewissen hatte – der unfehlbare Autopilot war schließlich gefahren. Noch bevor sich der Polizeibeamte vollständig vor ihm aufgebaut hatte, erklang schon die traditionelle Beschwörungsformel, die bei Temposündern das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte: „Führerschein und Fahrzeugchip bitte!“ T. förderte das Gewüschte aus seiner Brieftasche hervor und blickte mit zusammengeniffenen Augen in das blendende Licht der Helmscheinwerfer des Polizisten. Diese cybernetischen Schutzanzüge der Straßencops waren ja nicht unbeindruckend, doch diese dämlichen Lampen in der Nacht….
Ein kurzes, elektronisches Piepen ertönte, als der Beamte den Scheinwerfer deaktivierte und das Visier seines schwarzen Helms öffnete. Als er sich zu ihm hinunterbeugte löste sich der angespannte Ausdruck auf T’s Gesicht und machte einem breiten Grinsen platz. „Marcus, alter Verbrecher, ewig nicht gesehen…hatte ja völlig vergessen, daß du damals zu den Bullen gegangen bist!“ In einer freundschaftlichen Geste streckte er dem alten Bekannten seine Hand entgegen. Dieser schien jedoch völlig ungerührt und machte keine Anstalten den Begrüßungsritus des Händeschüttelns zu vollziehen. „Ich bin`s, T., du erkennst mich doch wohl?“ versuchte er die Stille zu durchbrechen. „Gut, daß du es bist ! Wir sind nämlich spät dran und wollen ins Kino. Ich nehme mal an wir können fahren….“
Marcus` versteinerte Gesichtszüge schienen noch eine Spur emotionsloser geworden zu sein, als er mit einer grausam militärischen Bestimmtheit sagte: „Mein Herr, ich muß sie bitten ihr Fahrzeug umgehend zu verlassen. Negativ zur Kenntnis genommen habe ich bereits, daß sie törichterweise versuchten, die Angelegenheit auf eine persönliche Ebene zu transferieren, um ein etwaiges Vergehen zu überspielen. Ich werde Sie, ihr Fahrzeug und alle anderen Insassen nun einer besonders intensiven Überprüfung unterziehen müssen.“ Seine Stimme klang kalt und monoton, wie die einer Maschine.
T. war wie gelähmt und er hatte das Gefühl sein Unterkiefer sei gerade auf die Straße gekracht. Dann fing er plötzlich schallend zu lachen an und blickte mit tränenden Augen zu seinem alten Kumpel auf, in der sicheren Erwartung, dieser würde es ihm gleich tun. „Oh Marcus, immer noch ganz der Alte, für einen Moment lang dachte ich…..“ Zu mehr kam er nicht. Ein kalter Lederhandschuh packte ihn an der Kehle wie eine Eisenzange und zog ihn mit brutaler Gewalt durch das Fenster auf die Straße. Dort schlug er ungebremst und schmerzhaft auf, während ein ungläubiges Keuchen aus Jörgs Richtung kam. Dann spürte er den kalten Titaniumlauf einer 49er Raptor in seinem Genick. Diese war über Nervenzellen mit dem Gehirn des Polizisten verbunden und zielte stets in Blickrichtung. Die Schußfrequenz einer solchen Waffe war so hoch, daß man meißt nur noch ein teekesselähnliches Pfeifen hörte. „Ich sehe schon, sie wollen oder können nicht kooperativ sein. Ich fürchte sie werden die Nacht auf der Wache verbringen müssen, damit wir feststellen können, was ihr Problem ist. Wir werden uns dann gemeinsam mit den Psychologen ein soziales Reintegrierungsprogramm für Sie überlegen.“
Nun endlich grinste auch Marcus. Er war völlig in seinem Element. Mit einem mitleidigen Blick durch eines der getönten Seitenfenster nam er den dämlich grinsenden Gabriel zur Kenntnis, der ihn zu verhöhnen schien. Es wurde Zeit, daß auch dieser eine Lektion erhielt, die sich gewaschen hatte. In inbrünstiger Vorfreude spannte er seine stählernen Muskeln an, die in den fünf Jahren Polizeitraining ihre Vollendung gefunden hatten und ihn zu einer tödlichen Waffe machten, wenn es darauf ankam. Mit ein paar geschickten Handgriffen entledigte er sich seines robotischen Kampfanzuges, denn diesen technischen Schnickschnack würde er für die beiden verbliebenen Versager nicht brauchen. Gerade als T. wieder zu Bewußtsein kam und die ersten Schläge auf den armen Gabriel einhagelten, sah Terminator-Jörg seine Chance gekommen. Ohne seine Polzeirüstung war Marcus seiner überlegenen Bioniktechnik zwar nicht gewachsen, doch dieser scheinbar unter geistiger Umnachtung leidende Bulle würde ihn mit Sicherheit einfach niederschießen. Darum benutze er seine Cyberschenkel nun lieber um panisch davonzurennen – noch war der Irre mit Gabriel beschäftigt….
Geistesgegenwärtig riß Marcus, der Gabriel gerade auf dem Rücksitz den Rest gab, seine Waffe hoch und zielte mit dem Laserpointer durch die Frontscheibe auf den davonsprintenden Jörg, welcher ihm ungewöhnlich groß und sportlich vorkam. Seine Waffe enttäuschte ihn nicht. Die Scheibe zerbarst in winzige Teile, als die Kugelsalve hindurchheulte und aus Jörg einen schweizer Käse machte. Marcus kommentierte dies mit einem zufriedenen Nicken. Ja, dank einer eisernen Ausbildung hatte er die Instinkte und Reaktionen einer Raubkatze. Nun mußte er nur noch über Funk ein paar Polizeineueinsteiger herbeordern, die sich um die ganze Unordnung kümmerten, die er verursachen mußte. Triumphierend lächelnd beförderte er schließlich noch T. in den Polizeiwagen, um ihn den gerechten Händen der Justiz zu übergeben.
Befriedigt seufzend blickte er zum Sternenhimmel empor und sog die kühle Nachtluft ein. Ja, er liebte seinen Beruf.