Zug-Gedanken
Ich habs mal wieder geschafft; ich bin eine Granate.
Mit Kratzen im Hals und einem beständigen Dröhnen in der Birne sitze ich im Zug nach Würzburg. Immer wenn ich huste, schlägt ein Kobold in meinem Kopf den Gong, der direkt mit meiner Großhirnrinde verbunden ist. Geiles Gefühl…
Das Ganze ist das fragwürdige Ergebnis meiner diesjährigen Karnevalsaktivitäten. Widerwillig hatte ich mich zu einem Tag Saufen und Blödeln in alberner Takelage überreden lassen. Als unrasierter Ghettotiger mit Ali-Mütze folgte ich zwei mexikanischen Gauchos und einer Art steinzeitlichem Wikinger mit wirklich gut ausbalancierter Axt in verschiedene Örtlichkeiten trunkener Niveaulosigkeit. Nach wenigen Bieren verstärkte sich der Wunsch in mir, dem Komponisten der Karnevalssongs die Holzaxt des Wikingers zwischen den Augen zu befestigen. Doch gerade als ich mich schon genervt nach Hause zurück schleichen sah, begann der Abend doch noch interessant zu werden.
Im Hippie-Schuppen „Flowers“ hatten sich die gnädigen Besitzer für eine gleichberechtigte Mischung aus Karnevals-Schmuh und 80er-Rock entschieden, eine sehr viel erträglichere Atmosphäre also. Schon recht passabel angeheitert und „I was made for lovin’ you“ von Kiss Wort für Wort mitgrölend, fiel mein Blick immer wieder auf eine beschwipste Prinzessin neben mir. Bald erhob sich das Sternchenkleid mit dem Krönchen und legte mit einer adligen Kollegin eine heiße Sohle aufs Parkett. Das muss ungefär der Augenblick gewesen sein, als mein „Schnuckelig-Detektor“ ausschlug und mich zu baldigem Handeln mahnte.
Nach noch ein wenig Smalltalk und Abzucken im Carpe war es dann soweit: Der Tiger durfte die Prinzessin küssen. Und nachdem wir uns von „Bützchen“ zu etwas gewagteren Zungenschlägen gesteigert hatten, offenbarte sie mir, dass sie zwar Bonnerin sei, momentan aber in Würzburg ihr Medizinstudium abschließe und dann sowieso erstmal für ihr PJ nach Polen fahre. Natürlich…Eigentlich hätte ich ihre Ausführungen auch lippensynchron mitsprechen können, da ja Murphy einer meiner treuesten Weggefährten ist…
Schon vorgeschädigt durch eine halbgare Fernbeziehung mit einer bayerischen Zahnärztin, nahm ich mir vor das Tête-à-tête auf GARKEINEN Fall ausufern zu lassen. „Am Aschermittwoch muss spätestens alles vorbei sein“, indoktrinierte ich in die weiten meiner Alkohol-gefluteten Hirnwindungen. Überflüssig zu erwähnen, dass wir uns noch zwei mal getroffen haben und ich sie auch ohne Krönchen königlich fand.
So sitze ich nun also hier auf dem Weg ins Feindesland Bayern. Natürlich nicht ohne einen handfesten Grippe-Schlag, damit man von der ganzen Rappelei im Zug auch was hat. Ich weiß, dass ich hier vermutlich die vorläufig letzte Möglichkeit eine Zeit-, Kosten- und Nerven-intensive Fernbeziehung abzuwenden gekonnt mit Füßen trete, aber bei der Aussicht auf lustige Doktorspielchen, muss man eben mal in die fettige Weißwurst (anderorts: Saurer Apfel) beißen…
Leider geht mir die Prinzessin mit Skalpel und neckischem Lachen doch nicht mehr so leicht aus dem Kopf, wie es der James Bond in mir gerne gehabt hätte, so dass ich mich nun wohl oder übel übers WE „verarzten“ lassen muss…
Just verschwindet die Sonne hinter den Weinbergen des Kaffs, durch welches wir gerade rauschen, und pinselt ein verträumtes Gold auf die Wolken. Die Kondenzstreifen von ein paar durchgeknallten Jet-Piloten wirken auf diesem Hintergrund wie die güldenen Fäden eines tattrigen, alten Schneiders. Für mich sind dies gerade die Schicksalsfäden der Nornen, welche wie gewohnt in meinem Leben verworren und ungeordnet scheinen und ich frage mich, welche Version einer möglichen Zukunft ich gerade durch diese Zugfahrt Gestalt annehmen lasse…