650 Jahre Pützchens Markt: Historischer Jahrmarkt & 70 Jahre alte Geisterbahn!

Ihr kennt das sicher auch. Ihr wollt an einem Samstagnachmittag auf Gedeih und Verderb irgendeinen Rummelplatz unsicher machen, doch draußen schifft es, als müsste Poseidon die Ozeane nachfüllen. Die Lösung ist vom 17. März bis zum 09. April 2017 – zumindest für Bonner – naheliegend: Ihr besucht einfach an einem Freitag, Samstag oder Sonntag den historischen Indoor-Jahrmarkt in Bonn-Pützchen.

Da fühlt man sich gleich verstanden und geliebt…

In zwei großen Hallen dürft ihr euch hier einer nostalgischen Zeitreise hingeben, die euch 100 Jahre alte Jahrmarktsromantik erleben lässt. Anlässlich des 650-jährigen Jubiläums von Pützchens Markt (Wahnsinn, so lange gibt’s die Wiese der Bekloppten schon!) wurden verschiedene Karussell-Klassiker wie die „Raupe“ oder „Schiffsschaukeln“ aufgebaut, die es ja in leicht modernerer Form heute auch noch gibt.

Allerdings finden sich auch etwas obskurere Attraktionen, die vor 100 Jahren bestimmt der letzte Schrei waren. Von Hau den Lukas, über einen Floh-Zirkus, bis hin zu einem historischen Auto-Scooter gibt es einiges zu beschmunzeln. Letzterer wurde damals wohl „Selbstfahrer“ genannt und war – wenn ich das Schild richtig verstanden habe – besonders für Fahrgäste mit einer eher rudimentären Intelligenz gedacht. Ansonsten gibt es natürlich die üblichen Fressbuden, die jedoch mit Personal in schön alberner 50er(?)-Jahre-Kleidung bestückt sind.

All das war sicherlich amüsant zu durchwandern, doch so richtig aus dem (Hexen-)Häuschen war ich erst beim Anblick der fast…

70 Jahre alten Geisterbahn!

Wer diesen Blog hier vielleicht etwas besser kennt, könnte schon mal von meiner frühkindlichen Fixierung auf Geisterbahnen und Spukhäuser gelesen haben. Mein Vater musste sich, gerade auf Pützchens Markt, jedes Jahr mit mir in jeden noch so angeranzten Wagon setzen und von Schaumstoff-Schergen langweilen lassen. Doch mein Durst nach den mystischen „Puppenhäusern“ konnte nie ganz gestillt werden.

Kein Wunder also, dass ich unverhohlen verzückt vor dem „Geisterexpress“ auf und ab marschierte, während ich versuchte meinen Nostalgie-Flash unter Kontrolle zu bekommen. Im erbarmungslosen Winter von 1949 wurde diese Geisterbahn scheinbar erbaut und ich wusste, dass ich sie mindestens einmal von innen begutachten musste.

Leider konnte ich meinen 1,5-jährigen Sohn nicht als Vorwand benutzen, um mich scheinbar genervt, aber doch irgendwie verständnisvoll lächelnd mit ihm in die Bahn zu begeben. „Ab 3 Jahre in Begleitung“ hieß es da leider recht eindeutig. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als alleine in einem Wägelchen Platz zu nehmen und das fette Grinsen von Miss Wiki zu ignorieren.

In der kurzen Warteschlange, in der überraschend wenig Kinder warteten, vielen mir zunächst die typischen Malereien auf dem „Fahrgeschäft“ auf. Wobei, typisch? So würde ich die Monsterdarstellungen nicht nennen, die da meine geistige Gesundheit auf die Probe stellten. Irgendwie schienen die Menschen vor 70 Jahren noch sehr abgefahrene Vorstellungen von Monstern und Gespenstern gehabt zu haben.

Hier z.B. erkenne ich eine Hexe und… äh…

Und hier scheint jemand einen Running Gag von Southpark prophezeit zu haben. Wir sehen „Man-Bear-Pig“ mit sauber geschnittenen Fingernägeln eine Milf malträtierend:

Angst hatte man scheinbar auch vor dem beim Scheissen im Gebüsch verreckten Professor mit seinem Killer-Maulwurf:

Und das hier kann eigentlich nur das Ergebnis eines super hochdosierten Pilz-Trips sein:

Doch wenigstens nehmen Untote ihre Gesundheit ernst. Niemand will sich seine vermodernden Lungen unnötig noch weiter versauen:

Und dann war ich endlich an der Reihe. An der Decke über mir baumelte ein Totenkopf, den ich am liebsten für meine nächste Halloween-Party geklaut hätte. Er schien jetzt schon höhnisch zu grinsen über die Ernüchterung, die mich sicherlich hinter dem Katzenmaul erwartete. Aber hier ging es ja nicht darum wirklich erschreckt zu werden, sondern, um eine Reise in meine Kindheit. Als der Wagen anruckte und sich die Tür öffnete setzte ich für den Angestellten der Bahn, der mir noch viel Spaß wünschte, mein überheblichstes und gelassenstes Lächeln auf.

Dann umfing mich Dunkelheit. Rabenschwarze Dunkelheit. Pitch Black. Die Bastarde verstanden ihren Job. Ich hatte vergessen, wie wirksam die simpelsten Mittel mit der menschlichen Vorstellungskraft spielen konnten. Manchmal ist das Unsichtbare viel furchtbarer, als der offensichtliche Horror. Ich stählte mich also gegen das erste Aufleuchten und Kreischen einer albernen Schaufensterpuppe mit aufgemalten Firlefanz.

Dann berührte mich etwas im Gesicht und ich stieß einen spitzen Schrei aus wie ein kleines Mädchen mit Zöpfen. Oh Mann, ich war im Dunkeln einfach nur durch eine Art Netz gefahren. Aber es hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Dann wurde mein Nervenkostüm mal mehr mal weniger stark durch die typischen, plötzlich hochklappenden und im letzten Moment erst angestrahlten Pappkameraden strapaziert, während ich in engen Serpentinen wieder zurück in Richtung Ausgang fuhr.

Doch irgendwo in der Mitte erwischte mich ein Jump Scare noch mal unerwartet hart. Da es am Eingang auf einem Schild geheißen hatte „Alle Figuren werden pneumatisch und elektrisch gesteuert“, hatte ich im Traum nicht dran gedacht, dass mir ein menschlicher Praktikant im Dunkeln von hinten an die Schultern packen und MUAAAHAHAHAAARAARRRRRRBRRRRRBUAH! Schreien würde. Das war unerwartet. So viel „echtes Engagement“ hatte ich von einer elektronischen Geisterbahn irgendwie nicht erwartet. Mit einer Mischung aus wahnsinnigem Lachen und verängstigtem Schluchzen fuhr ich um die letzte Kurve in Richtung Tageslicht. Meine Nerven beruhigten sich langsam wieder und ich versuchte für das Publikum draußen meine erwachsene „Wie lange dauert die Scheisse noch-Miene aufzusetzen. Natürlich sprang kurz vor der Ausgangstür noch ein zweiter Mitarbeiter hinter einer wirklich gut getarnten, schwarzen Folie hervor und entließ mich mit einem spitzen Schrei zurück ins Licht. Das Foto, das Miss Wiki dabei von meinem Gesicht gemacht hat, zeige ich hier jetzt lieber nicht.

Etwas enttäuscht war ich lediglich vom lächerlichen Eintrittspreis des historischen Jahrmarkts. Für schlappe 15€ dürfen sich Erwachsene den Hauch Jahrmarkts-Geschichte zu Gemüte führen, der in den zwei Hallen ja im Großen und Ganzen schon übersichtlich ist. Für alle Schieß- und Fressbuden muss natürlich extra gelöhnt werden. Ich bin mir nicht sicher wie viele Runden Geisterbahn oder Kasperle-Theater diesen Preis rechtfertigen. Auch, wenn ich am Ausgang zum Abschied noch ein paar gebrannte Mandeln, einen Kuli und einen weiteren Wolkenbruch geschenkt bekam.

Über Thilo (1210 Artikel)
Hi, ich bin der Gründer dieses bekloppten Blogs. Außerdem Realitätsflüchter, Romantiker, Rollenspieler, Gamer, Fantasynerd, Kneipenphilosoph und hochstufiger Spinner. Manchmal jogge oder schwimme ich, doch meistens trinke ich Bier.