Blade Runner 2049 hat mich in Zeitlupe aus den Latschen gehauen

9 von 10 Replikanten

Oh Junge. Hatte ich einen Schiss bei Blade Runner 2049 mit seinen 168 Minuten einzuschlafen. Das hatte der 1982er Blade Runner von Ridley Scott ja schon mit deutlich weniger Laufzeit (und Rotwein) mehrfach bei mir geschafft. Aber ich kann Entwarnung geben. Durch einen Liter clever dosierter Coke – um nicht aufs Klo zu müssen – und eine bombastische Erzähl- und Bildgewalt, konnte ich noch aufrecht und profund befriedigt nach Mitternacht aus dem Kino gehen.

Blade Runner 2049 ist eine Wucht. Natürlich, wie bereits angedeutet, besonders optisch. Man hat das Gefühl, dass die übertrieben wirkende Spieldauer auch der Tatsache zu verdanken ist, dass sich der Film darin gefällt sich in seiner eigenen herrlich düstereren und dystopischen Optik zu suhlen. Die Panorama-Shots werden gebührend ausgekostet und entführen uns in eine scheinbar immer dunkle, regnerische und zwielichtige Welt, die meistens nur künstlich durch Neon-Reklame oder Dronen-Scheinwerfer punktuell aufgehellt wird.

Diese Optik und Atmosphäre passt einfach unschlagbar gut zu den „schweren“, melancholischen Themen, die uns aus der Kiste des KI-Horrors um die Ohren gehauen werden. Menschen, Replikanten, Hologramme und andere Formen von bewusstem oder zumindest scheinbar bewusstem Leben suchen nach Sinn und Seele in einer Welt, in der durch die Technologie alle Grenzen zu verschwimmen drohen.

Dabei entstehen auf Grundlage der philosophischen Tiefe im Zusammenspiel von grandioser Szenerie und darin perfekt agierender Schauspieler erinnerungswürdige Szenen, die mich heute, gleich nach dem Aufwachen, zu einer weiteren Gedankenreise in die Welt von Blade Runner 2049 genötigt haben.

Besonders Ryan Gosling drückt dem Film in seiner (zunächst) in sich ruhenden Rolle des stoischen Officer K seinen Stempel auf. Aber natürlich sind auch Harrison Ford oder Jared Leto in seiner herrlichen Frankenstein-Luzifer-Rolle eine wahre Freude. Beeindruckt war ich auch von der Bandbreite der dargestellten Frauenfiguren, die weder nur aus hirnlosen Femme Fatales, noch aus größtenteils chirurgisch präzise reingeschnittenen und politisch ach-so-korrekten „Wonder Women“ bestand. Hier war von der schwach-anmutenden, fast unterwürfigen Hausfrau bis hin zur starken Businessfrau mit Prinzipien alles vertreten. Besonders von der rechten Hand des Corporation-Bosses Niander Wallace, der sexy Niederländerin Sylvia Hoeks in der Rolle der Luv, hätte ich mich gerne mal zusammentreten und wieder zärtlich zusammen flicken lassen.

Ich möchte jetzt eigentlich auch gar nicht viel weiter ausholen, um keine unnötigen Spoiler zu streuen. Blade Runner 2049 ist für mich eine gekonnte Weiterentwicklung der Story seines Vorgängers, mit vielen Verweisen auf diesen, ohne jedoch krampfhaften Fan Service zu abzuleisten. Der Film steht, auch ganz ohne sein „Vorbild“, selbstbewusst und stark auf seinen filmischen Beinen und sollte selbst Leute, die den Vorgänger gar nicht gesehen haben, vollkommen begeistern können. Besonders, weil die Welt und Geschichte von Blade Runner zu Beginn des Films kurz und kompakt erklärt wird.

Ich ziehe dem Film letztlich nur einen Punkt ab, weil die Spieldauer meines Erachtens schon hier und da ein wenig hätte gerafft werden können. Damit will ich nicht sagen, dass ich mich auch nur für Sekundenbruchteile während des genialen Films gelangweilt hätte. Im Gegenteil, dafür schwelgte ich zu sehr in meinen Endzeit-Fantasien. Doch für mich ist Kino immer auch Unterhaltung. Und Unterhaltung ist für mich auch Action, Sex und Gewalt. So bin ich nun mal. Für den Wiederguck-Wert hätte es dem Film gut getan einige Minuten (oder Stunden) bedeutungsschwangerer Blicke von Ryan Gosling gegen Verfolgungsjagden und Kugelhagel auszutauschen.

Blade Runner 2049 ist eben kein Film, den man für einen Bier und Brezel-Abend unter Freunden rauskramt, sondern nur in Momenten, die ultra-atmosphärisch und gemütlich sein sollen. Eigentlich ist es ein Trauerspiel: Die Blade Runner-Filme schreien so sehr nach angedudeltem Rotwein-Philosophieren, aber laden dabei gleichzeitig durch ihre Spieldauer und melancholische Schwere zum Einschlafen ein. Vertrackt! Aber vermutlich auch nur mein Problem.

Über Thilo (1211 Artikel)
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