3 Fragen die uns Black Mirrors Striking Vipers direkt auf die 12 haut

Striking Vipers. © Netflix

Welche Ironie! Zwei beinharte Kämpfer. Vom Computer nur für einen Zweck erschaffen: Dem Gegner die Pixel-Visage zu demolieren. Die beiden tun einander Gewalt an, ekstatisch, mit Tritten und Schlägen, bis auf dem Höhepunkt der Gewalt so viel Blut verspritzt wurde, dass einer von beiden nicht mehr hoch kommt. Die Kraft reicht nur noch für zärtliche Berührungen, also küssen sie sich.

Wait. What?

Ja, so geschieht es im virtuellen Kampfspiel Striking Vipers in der gleichnamigen 1. Episode der 5. Staffel von Black Mirror. Und es drängt sich automatisch die Frage auf, was Leute machen würden, wenn sie die Freiheit hätten die üblichen Grenzen eines Spiels oder Genres zu durchbrechen. Im Grunde sehen wir ähnliche „Entartungen“ ja schon in der Modding Szene, wo regelmäßig versucht wird Grenzen aufzuweichen und Fantasien auszuleben.

Insofern hat mir die Grundidee von Striking Vipers schon mal sehr gut gefallen: Was, wenn die beiden Kämpfer mal anders übereinander her fallen würden? Besonders natürlich, weil ich als Gamer mit Beat em ups wie Mortal Kombat, Street Fighter, Tekken, Soulcalibur und den ganzen SNK-Titeln wie Samurai Showdown oder Fatal Fury aufgewachsen bin; großzügig gewürzt mit einer beachtlichen Menge exotischer Fighting Games, an die sich heute glücklicher Weise niemand mehr erinnern kann.

Die beiden anderen Folgen der neusten Black Mirror-Staffel (ab wann darf man sich überhaupt „Staffel“ nennen?) Smithereens und Rachel, Jack and Ashley Too dürfen übrigens gerne in der Versenkung verschwinden. Aufgewärmte Konzepte vergangener Folgen, ohne Aha-Momente und langweilig in Szene gesetzt. Es scheint, als wäre den Machern die Luft ausgegangen – quantitativ wie qualitativ. Schade.

Natürlich betritt auch Striking Vipers mit seinem Virtual Reality-Thema kein Neuland. Aber zumindest ist dieses bei Black Mirror bereits ausreichend breit getretene Thema spannend und hat wunderbar schreckliche Implikationen für unsere zukünftige Gesellschaft. Die VR-Folgen San Junipero und USS Callister haben nicht umsonst insgesamt 6 Emmys gewonnen.

VR wird immer besser werden und derart realistische Welten werden kommen, Bitches, schnallt euch an!

Ich mache mir jetzt schon Sorgen, wie ich meinem Sohn mal erklären soll, dass die „richtige“ Wirklichkeit scheiße ist, er sich aber trotzdem zum Essen und Schlafen ab und zu dahin ausloggen muss.

Striking Vipers ist für mich die mit Abstand beste Folge der neuen drei, weil sie am meisten aufrüttelt, verstört und zum Denken anregt. Und genau das ist der Spirit der besten Folgen von Black Mirror, den ich mir für die Folgen der nächsten Staffel wieder für jede Episode wünsche.

Dass die Folge trotzdem bei vielen Leuten weniger gut angekommen ist, rechne ich mal der Tatsache zu, dass sie sich besonders an eine bestimmte Altersgruppe bzw. an Menschen in einem bestimmten Lebensabschnitt richtet. Wer noch nicht zu Mutter oder Vater geworden ist oder zumindest noch nie die verebbende Leidenschaft einer langjährigen Beziehung erlebt hat, wird dieser eher ruhigen Folge vermutlich weniger abgewinnen können.

Dennoch sind einige Themen hoch brisant und verdienen es in den Fokus gerückt zu werden.

1. Ist es Fremdgehen, wenn es ein „Spiel“ ist?

Ich fürchte, in der Zukunft werden die Menschen noch oft mit glasigem Blick in der Ecke liegen. Vielleicht tun wir das ja sogar schon? © Netflix

Theo und Danny Parker beginnen ihre Beziehung voller Leidenschaft. Sie spielen Rollenspiele und vögeln sich gegenseitig das Hirn raus. Alles ist frisch und aufregend. Doch 11 Jahre später, verheiratet mit Kindern, sieht die Welt nicht mehr ganz so schillernd aus. Beide schauen insgeheim nach anderen Partnern, wollen oder können sich aber keinen Seitensprung erlauben. Lediglich Danny findet durch seinen alten Gaming-Kumpel Karl unverhofft Abwechslung in digitaler Form: Er vögelt in einem Kampfspiel Karls weiblichen Avatar und geht seiner Frau auf diese Weise digital fremd. (Ich liebe es, wie dabei Tetris als Metapher für das ordentliche und konforme Eheleben dient und Fighting Vipers für den aufregenden Thrill des Verbotenen.)

Doch wo ist der Unterschied, wenn es sein Geist als genauso real empfindet, wie in der richtigen Welt? Schlimmer noch: Was, wenn es sogar besser ist? Und warum kann sich Danny in einem „Spiel“ etwas erlauben, was er in seiner realen Beziehung nicht wagen würde? Wer entscheidet, was moralisch vertretbar ist und was nicht? Haben wir es am Ende vielleicht mit nichts anderem als gesellschaftlicher Konditionierung zu tun, die uns Schuldgefühle einredet, nur weil wir Bedürfnisse haben und ihnen nachgehen möchten? (Klingt erschreckend wie Religion für mich). Ist Ehe vielleicht ein überholtes Konzept, weil sie in Zeiten geschaffen wurde, in denen andere Werte und Ziele in der Gesellschaft verfolgt wurden? Brisante Fragen…

Ich will hier nicht eine Stange brechen für die Anhänger der Polyamorie, die wieder ihre ganz eigenen Probleme haben, aber ich muss unwillkürlich an Joey von Friends denken: Sich nur einem Partner zu verschreiben, ist das nicht so, als würde man nur eine Eissorte wählen, die man dann bis zum Ende seines Lebens zu essen hat? Wie soll man da nicht irgendwann gelangweilt sein?

Striking Vipers hält am Ende eine überraschend progressive und praktikable Antwort für uns bereit. Wenn man sich denn von antrainierten Moralvorstellungen lösen kann…

Einmal im Monat (oder immer an Danny Geburtstag? Die Frequenz wird nicht ganz klar) darf Danny sich virtuell mit Karl vergnügen, während Theo sich in einem realen Szenario ausleben kann. Mit gegenseitigem Einverständnis gehen sie sich also gegenseitig fremd, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Danach führen sie wieder ihre Ehe und lieben sich wie zuvor. Was mich zum nächsten Punkt führt:

2. Sind geistige und körperliche Liebe zwei unterschiedliche Paar Schuhe?

Lance und Roxette. Wer hätte bei einem Mann namens “Lanze” schon mit so einem Ausgang gerechnet? © Netflix

Auweia, das Konzept „Liebe“. Was, wenn mein bester Freund sexy wäre? Meine Definition von Liebe war schon immer: Ein bester Freund, den man auch sexuell anziehend findet. PENG!

Zunächst ist es für Danny und Karl nur aufregend virtuellen Sex zu haben, ohne dass irgendwelche Gefühle involviert wären. Und ich kann es, weil ich hetero bin, zumindest aus Dannys Perspektive sehr gut verstehen. Durchtrainierte Kämpfer(innen) in solchen Games sind meist sehr attraktiv. Ich muss an dieser Stelle nicht die YT-Videos erwähnen, in denen Pubertierende heimlich dabei gefilmt wurden, wie sie zu den Antennenohren oder anderen Körperteilen einer entkleideten Nacht-Elfe von World of Warcraft masturbieren, oder? Das ist wohl nicht so weit hergeholt. Siehe auch Future Man und Tiger. Als ob ich nicht Prinzessin Kitana, Shun Li oder Mai Shiranui ins Schlafgemach folgen würde, wenn ich die virtuelle Gelegenheit hätte! FINISH HIM, sage ich da nur…

Aus Karls Sicht kann ich es weniger gut nachvollziehen, denn er scheint im realen Leben, wie Danny, hetero zu sein. Oder haben wir es auch hier wieder nur mit gesellschaftlichem Druck zu tun, der sein Coming Out verhindert? Interessanter Weise beschreibt er Danny, wie berauschend es ist Orgasmen als Frau zu erleben. Das erklärt jedoch nicht, warum er sich vom Asiaten Lance überhaupt angezogen fühlt.

Dann passiert es und die beiden verlieben sich ineinander. Was die Frage aufwirft, ob es für die sexuelle Präferenz eine Rolle spielt, was für einen Körper man hat? Würde ich mich als Shun Li von Ryu nehmen lassen, nur um mal zu sehen wie das ist? Ich kann es nicht beantworten.

Die Liebe der beiden scheint jedoch meine „Freundschaft + Sexuelle Anziehungskraft = Liebe“-These zu bekräftigen. Denn neben Dannys durchtrainiertem Kämpferkörper braucht Karl scheinbar dessen Persönlichkeit, um vom Hocker gerissen zu werden. Das wird klar, als Danny sich für längere Zeit ausloggt, um seine Ehe in den Griff zu kriegen. Karl nutzt nämlich die Zeit um Ersatz zu finden und vögelt dabei jeden Pixel, der nicht bei drei auf den Bäumen ist. Sogar den Eisbären will er durchgenommen haben, was mich nicht nur zum Lachen gebracht, sondern auch an die komischen Tierkämpfer von Tekken erinnert hat.

Als die beiden jedoch herausfinden wollen, ob sie vielleicht schwul sind, scheitert das Experiment nicht nur, sondern endet sogar mit einem Kampf in der echten Welt. Unter einer Brücke. Im Regen. Ich frage mich, ob diese Optik an Matrix erinnern sollte?

Für mich war klar, dass dieses Experiment scheitern würde. Denn nun standen sich Danny und Karl ja nicht mehr als Lance und Roxette, sondern als zwei schwarze Männer gegenüber. Und da beide, mindestens aber Danny, in der Geschichte hetero waren, hätte ein leidenschaftlicher Kuss wenig Sinn gemacht.

Doch natürlich haben sich im Netz mal wieder entsprechende Gruppen über die Szene aufgeregt. Die extrem linken Social Justice Warriors fluchen darüber, dass die beiden schwarzen Männer nicht zusammen kommen. Klar, denn den SJWs sind Story und Logik egal, wenn es darum geht ihre politische Botschaft mit dem Hammer unterzubringen. Gleichzeitig musste ich von Schwarzen lesen, dass die Black Community durch diesen „Gefühlskack“ als verweichlicht und unmännlich rüberkommen würde. Einer beklagte sogar, dass der Schauspieler, der den nächsten Captain America spielen soll, überhaupt so eine Rolle annimmt. Wow, ziemlich homophob, wie ich finde.

Wieso rafft keine dieser Parteien die Grundbotschaft, dass Liebe ein allumfassendes und alles bejahendes Konzept ist, bei dem Geschlecht, Hautfarbe und jede andere austauschbare Komponente der Welt der Materie keine Rolle spielen? Das heißt aber nicht, dass es keine Präferenzen gibt. Natürlich hätten die beiden Männer auch rausfinden können, dass sie schwul oder zumindest bi sind. Mussten sie aber nicht. Denn es ging um etwas Unsichtbares. Etwas, das in jedem Körper stecken kann, jedoch nicht an ihn gebunden ist. Was mich zur letzten Frage bringt:

3. Wer bist Du, wenn Dein Name und Dein Körper so leicht austauschbar sind?

Geile Freak Show. Ich wünschte, es wäre echt. © Netflix

Zuerst ist es nur ein Spiel, wenn auch ein verdammt realistisches. So realistisch, dass der Unterschied zur echten Welt kaum noch wahrnehmbar ist; höchstens dadurch, dass Leute in der richtigen Welt keinen Feuerball schießen, wenn sie Hadouken schreien.

Doch dann verlieben sich die beiden Freunde in ihre Spiel-Avatare und würden am liebsten für immer eingeloggt bleiben. Ein Schelm, wer Unanständiges bei der Formulierung denkt. Und tatsächlich wäre das in der Welt von Black Mirror sogar möglich, wie in der Folge San Junipero gezeigt. Dannys und Karls Bewusstsein müssten dann permanent in die Spiel-Avatare transferiert werden. In einer Art „Perma-Effekt“, mit dem ja schon Dimitri Rus ausführlich in seinem Roman gespielt hat.  

Aber die Frage bleibt. Wenn ich mich in ein Spiel einlogge und komplett die Eigenschaften des neuen Avatars annehme, sprich Namen, Körper, vielleicht sogar Blade Runner-mäßig vorprogrammierte Gedanken – wer bin dann „ich“? Wer ist dieses unsichtbare Bewußtsein, das da am Steuer sitzt? Und wo ist der Unterschied zu jetzt? Wenn ich den geilen Fleisch-Schlitten betrachte, den ich meinen Körper nenne, dann weiß ich ja durch die Physik, dass das “nichts” ist. Nur Informationen. Teilchen? Wellen? Auf jeden Fall gigantische leere Räume, die sehr weit herausgezoomt mich ergeben. Oder das, was ich für “mich” halte.

Wer bin ich? Und wer bist Du? Denkt mal drüber nach, ihr Kellerkinder! 😉

Übrigens, falls es nicht aufgefallen sein sollte: Striking Vipers hat eine bemerkenswerte Superhelden-Dichte. Anthony Mackie (Danny Parker) durften wir auch schon bei den Avengers als Falcon erleben. Yahya Abdul-Mateen II (Karl Houghton) hat als Black Manta Aquaman die Stirn geboten. Und wer der niedlichen Pom Klementieff (Roxette) mal Fühler anklebt, wird sie als Mantis von den Guardians of the Galaxy erkennen.

Über Thilo (1200 Artikel)
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