Warum ihr sofort alle 13 Folgen von Netflix‘ Daredevil durchfiebern solltet
Zur Tarnung tragen die meisten Superhelden Kostüme, die den ganzen Körper bedecken und optimaler Weise nur einen kleinen Sehschlitz für die Augen frei lassen. Wer es genau anders rum macht, ist entweder strohdoof oder nennt sich Daredevil.
Ziemlich skeptisch habe ich mir die erste Folge des blinden Rächers angeschaut. Der eher gefloppte Kinofilm von 2003 mit Ben Affleck in rotem Leder hat einen sehr faden Nachgeschmack hinterlassen. Doch als Matt Murdock, alias Daredevil, zu Beginn der Serie in einem Beichtstuhl Tränen vergießt und dem Priester gesteht “Ich suche nicht nach Vergebung für das, was ich getan habe, Vater, sondern für das, was ich tun werde“, scheint der düstere Grundstein für eine ganz andere Interpretation von Daredevil gelegt.
Schon der Vorspann ist wunderbar mystisch-religiös, düster und – was nach einigen geschauten Folgen immer deutlicher wird – brachial metaphorisch: Blut fließt in Strömen über Gebäude und Engelsstatuen. Was einerseits auf Murdocks einzigartige Art „zu sehen“ hindeutet, könnte gleichzeitig auch die moralische Fragwürdigkeit eines Mannes hervorheben, der die Welt erst „bluten lassen“ muss, um ihr eine akzeptable Kontur verleihen zu können…
Und Blut ist auch das Stichwort, welches diese Serie von allen bisher gezeigten Marvel-Projekten unterscheidet. Daredevil ist schlichtweg brutal. Dies ist jedoch nicht einem Fetisch des Regisseurs, sondern dem gnadenlosen Realismus geschuldet. Wenn der Mann mit schwarzer Kopfbinde Verbrecher mit bloßen Händen um die Ecke bringt, dann knacken Knochen und Blut tropft auf die Straße. Die Handgemenge sind so „gut“ gemacht, dass Miss Wiki hin und wieder den Blick abwenden musste, weil sie die Härte des Gezeigten nicht mehr ertragen konnte/wollte.
Für mich jedoch passte diese raue und blutige Darstellungsweise der Kämpfe perfekt zu einem düsteren Helden, der in einem Stadtviertel mit dem Namen „Hell’s Kitchen“ für Recht und Ordnung sorgt. Hier gehören eben dunkle Gassen, Nebel und zwielichtige Containerschiffe am Hudson River genauso zum Stadtbild wie Leichen und Blutlachen auf dem Boden. Hier ist der Großteil des Polizei-Aufgebots korrupt und wer dem hiesigen Crime Lord im Weg steht, wird unschädlich gemacht.
Was mich zum durchweg gelungenen Cast der Serie bringt. Neben Charlie Cox als gemarterten und gequälten Rächer hat es mir besonders Vincent D’Onofrio als Wilson Fisk, alias Kingpin, angetan. Er hat es mit seinem Charakter geschafft eine latente Bedrohung auszustrahlen, die mir kalt über den Rücken gelaufen ist. Wer sich diesen glatzköpfigen Schrank anschaut, weiß einfach, dass er alle „Fesseln der Moral“ abgeworfen hat. Ich habe mich dabei ertappt, dass ich aufmüpfige Handlanger des Kingpin lautstark gewarnt habe: „Wenn ich Du wäre, würde ich jetzt einfach die Schnauze halten. Sonst bist Du gleich Gemüse.“ Ebenfalls fantastisch ist der gesamte weibliche Cast, der, ich gestehe es, besonders durch seine HOTNESS überzeugen konnte. True Blood-Vampire Lady Deborah Ann Woll muss für mich ohnehin außer reiner Anwesenheit nicht viel leisten, aber auch Rosario Dawson durfte sich als liebevolle Krankenschwester, die Daredevil nach seinen Kämpfen wieder zusammen näht, von mir anschmachten lassen. Wenn so eine Medizinerin mich hinterher abtastet, könnte ich auf die Idee kommen mich auch mal von Ninjas aufschlitzen zu lassen.
Im Grunde stellt Daredevil im Marvel-Universum das dar, was Batman bei DC ist: Ein lokal tätiger Irrer, der nachts Verbrecher zusammen schlägt. Allerdings macht Daredevil dabei eine deutlich bessere Figur und kommt auch deutlich cooler rüber. Während Batman sich insbesondere auf seine finanziellen Ressourcen und praktische Gadgets aus seiner Forschungsabteilung verlässt, kann der „Teufel von Hell’s Kitchen“ mit echten Superkräften aufwarten. Denn obwohl seine Augen in einem Chemie-Unfall ruiniert wurden (wodurch auch sonst? Wir sind hier bei Marvel…), haben seine anderen Sinne eine übermenschliche Aufwertung erfahren. Daredevil „sieht“ durch seine übrigen Sinne besser als jeder andere Mensch und kann das aufgeregte Herzklopfen eines Gangsters zwei Straßen weiter hören. Seine fehlende Sicht macht ihn zudem zum „Mann ohne Angst“. Da ihm seine Augen beim Turnen über Häuserdächer keine Abgründe zeigen können, ist Daredevil kein Stunt zu gewagt. Klar, irgendwo muss der Name ja her kommen. Zwar wachsen sowohl Batman als auch Daredevil ohne Eltern auf, doch meine Sympathie liegt klar beim gefühlvollen Blinden, der sich durch seinen Anwaltsposten verdingen muss, und nicht beim verwöhnten Milliardärs-Söhnchen und seinen Spielzeugen.
Also ich kann euch Netflix‘ Daredevil nur ans blutrote Herz legen. Zwar werden hier eiserne Superrüstungen und magische Hämmer nur am Rande erwähnt, doch die Probleme eines Mikrokosmos wie Hells‘ Kitchen, wissen durch einen unkonventionellen Helden, der sie mit den blanken Fäusten löst, durchaus zu unterhalten.
Daredevil ist übrigens neben Luke Cage, Jessica Jones und Iron Fist eine von vier Marvel-Disney-Serien, die exklusiv für Netflix produziert werden und zum Crossover Defenders führen soll. Während die Avengers das Universum retten, sorgen die Defenders erst mal für Ruhe in der Nachbarschaft. Ich muss ja gestehen, dass die anderen drei Helden-Formate mir nicht wirklich was sagen, doch eine zweite Staffel von Daredevil würde ich mir sofort reinziehen. Und zwar wieder am Stück. Das „Binge-Format“ kommt mir dafür sehr gelegen. Da Netflix die ganze Staffel auf einmal ins Netz gestellt hat, konnten wir die Serie an drei Abenden durchfiebern. Ich finde das super, denn ich hasse es, wenn ich bei anderen Serien wie Game of Thrones gerade in Laune bin und dann erst mal wieder eine Woche bis zur nächsten Folge warten muss.
Wer übrigens keine Lust hat ein Netflix-Abo zu zahlen, kann sich auch einfach für einen kostenlosen Probemonat registrieren. 30 Tage sollten für Daredevil und x andere Filme und Serien reichen. Ich spiele jedoch mit dem Gedanken mein Abo freiwillig zu verlängern, denn für 8,90€ im Monat kann ich alle Serien ohne Wartezeit in HD streamen und dabei zwischen deutscher und englischer Sprache hin und her schalten wie ich will. Kündigen kann ich dann ja immer noch. Berühmte letzte Worte…
Trailer: