Brügge sehen und nerden

Viele Deutsche leiden unter einer seltsamen Krankheit: Ein Urlaub gewinnt für sie immer mehr an Qualität, umso weiter das Reiseziel entfernt ist. Scheinbar wollen solche Fernweh-Fanatiker bei einem lange überfälligen Tapetenwechsel immer gleich Raufaser sehen, die möglichst exotisch und schwer zu erreichen ist. Ich selbst bilde dabei natürlich keine Ausnahme. Wer schon einmal in einer 33-stündigen Tortur halb um die Welt geflogen ist, nur um ein Hobbit-Dorf zu sehen, kann ja nicht mehr alle Haare auf den Füßen haben.

Die unbelehrbarsten unter diesen Radikal-Urlaubern wandern einfach gleich ins Ausland aus und lassen sich dabei von „Goodbye Deutschland“ filmen. Bonuspunkte gibt es, wenn man die Sprache des Ziellandes nicht spricht und weder Sitten, noch Arbeitsmarkt vor Ort durchblickt. Doch so amüsant es auch ist, Rita und Gerd mit ihrer Pommes-Bude im Dschungel untergehen zu sehen, so unnötig ist es auch. Verstehen die Leute das Grundkonzept unserer Welt nicht? Das Spiel der Kontraste? Urlaub ist der Kontrast zum Alltagsleben. Wenn ich an den Urlaubsort ziehe und dort arbeite, dann verwandelt er sich in mein Alltagsleben und hört auf Urlaub zu sein. Mir beim Arbeiten eine Plastikpalme vor mein Bürofenster zu stellen kommt dann unterm Strich aufs Selbe raus.

Seufz. Ich habe immerhin mittlerweile erkannt, dass man nicht immer in die Ferne schweifen muss, um atemberaubende Urlaube zu erleben. Bei meinen Trips rund um die Welt habe ich das wunderschöne Europa vor meiner Haustür sträflich vernachlässigt. Wer noch nie in Paris, Venedig oder Edinburgh war, sollte vielleicht nicht heulen, dass er sich das Ticket nach Tokio nicht leisten kann.

Aber versteht mich nicht falsch. Natürlich haben die weiter entfernten Länder und Städte alle ihren Reiz und sollten besucht und erlebt werden. Nur ich wundere mich stets darüber, wie viele meiner Freunde die Schönheiten und Attraktionen vor ihrer eigenen Haustür nicht kennen. Auch ich selbst habe erst vor ein paar Jahren angefangen einige kulturelle Wissenslücken zu schließen. Und nun, da ich Vater bin, kommen in nächster Zeit sowieso erst mal nur Reisezeile in Frage, die leicht zu erreichen und mit Strand und Sand ausgestattet sind. Hallo Holland.

Um mein dreijähriges Mini-Me bei Laune zu halten haben wir uns 3-4 Stunden ins Auto geschwungen, um in Cadzand ein kleines Ferienhäuschen zu beziehen. Die Netherrealms, äh Niederlande, sind für Deutsche, die ans Meer wollen natürlich ein Nobrainer. Einfach die Karre voll packen und den Schildern folgen. Da Cadzand ganz im Süden der Käselande liegt, fährt man am besten über Belgien. Einfach den lustigen Schildern folgen.

Was man in Holland, bzw. Cadzand machen kann? Glad you asked. In erster Linie 3 Dinge:

  1. Am Strand liegen – am besten in einer windgeschützten Strandmuschel – und alberne Fantasyromane lesen, während der Nachwuchs mit dem Arsch einreißt, was er mit den Händen aus Sand aufgebaut hat.

  1. Belgisches und holländisches Bier trinken. Dann besoffen am Meer entlang schlendern und sich den Fuß an einem großen Stein blutig schlagen. Läuft.

  1. Morgens im Urlaubsdorf „Noordzee Résidence Cadzand-Bad“ aufwachen und in Gewaltfantasien schwelgen. Im Kopf immer wieder durchgehen, wie man den behämmerten Techno-Hasen aus dem Kinder-Animations-Programm, der jeden Morgen lärmend und feiernd die Urlauber weckt, so töten kann, dass er Beweis- und Rückstandslos entsorgt werden kann. Dann realisieren, dass das genauso unmöglich ist wie Batman zu töten. Ein anderer Irrer würde einfach das Kostüm anziehen und weiter machen. Eine Idee kann man nicht töten. Der Horrorhase ist unzerstörbar.

Donnie Darko (2001)

Doch was wirklich beim Reisen mit Nachwuchs Gold wert ist: Die gütigen Großeltern dabei haben. Denn dann kann man Junior in den Bollerwagen setzen und mit Oma und Opa zum Strand schicken, während man selbst einen Tagesauflug macht ins malerische und nur ca. 30 km entfernte…

Brügge!

Ja, genau, das Brügge, das man sieht und dann stirbt. Muss ein wahrer Basilisk von Stadt sein…

Oder dieser Spruch stammt von Brügge sehen… und sterben? von 2008 mit Colin Farrell, an den wir alle uns immer noch erinnern. Doch anders, als Colin im Trailer behauptet, muss niemand „auf einem Bauernhof aufgewachsen und geistig zurück geblieben“ sein, um Brügge beeindruckend zu finden.

Durch die mittelalterliche Atmosphäre, die durch die kleinen Flüsschen, Türmchen und Hansehäuschen erzeugt wird, lädt Brügge Nerds zum Spazieren und Träumen ein.

Wer mit dem Auto kommt, sollte jedoch nicht zu weit ins Zentrum fahren, da Parkplätze und Parkhäuser aus allen Nähten platzen und standardmäßig voll sind. Lieber von etwas außerhalb rein laufen und am Magierturm orientieren, der eigentlich von überall aus zu sehen ist:

Den 83 Meter hohen „Belfried von Brügge“ zu besteigen und die Aussicht zu genießen ist kein Problem, denn in den umliegenden Gässchen können Kalorien in Form von Waffeln, Schokolade, Pommes und Bier nachgetankt werden.

Das Schlendern durch die malerischen Gassen war eine „helle“ Freude. Besonders nachdem ich ein paar dieser blonden Kasper im Kopp hatte, die die örtliche Brauerei gar süffig in Flaschen zu füllen vermag.

Am besten schnappt man sich am Marktplatz mit dem Belfried im Touristenbüro eine Stadtkarte und läuft einfach die darauf angepriesenen Sehenswürdigkeiten ab. Oder ihr macht das Handy an und lest euch erst auf Holland² die Brügge Sehenswürdigkeiten durch. Der Rozenhoedkaai (Bild am Anfang des Artikels), der Belfried und die Handelskontore sind dann schon mal abgedeckt. Doch letztlich gibt es überall stimmungsvolle Architektur zu bewundern:

Ansonsten gibt es für den Nerd von Welt natürlich jede Menge zu sehen und in kleinen Hinterhöfchen zu entdecken. Wie z.B. diese Skulptur: Der gerade als Schwan die fesche Leda pimpernde Zeus und Prometheus besuchen auf Pegasus Brügge. Äh…

Ich glaube der Künstler hat auch in der Nähe der Brugse Zot-Brauerei gelebt. Flüssige Inspiration durchströmt ja schließlich die Menschheitsgeschichte wie die Elektrizität den Unterleib der Lena… Gott, ich brauche schon wieder Bier…

Also, ich kann einen kurzen Städtetrip nach Brügge nur empfehlen. Es hat nicht ganz so viele Wasserwege und Brücken zu bieten wie das unvergleichliche Venedig, aber dafür ist es auch deutlich schneller mit dem Auto zu erreichen. Brügge gehört zu diesen Städtchen, die für uns Deutsche so nah und doch so fern sind, weil die wenigsten von ihrer Schönheit wissen. Doch gerade Mittelalter- und Fans romantischer Atmosphäre sollten sich die gemütlichen Gässchen in Brügge nicht entgehen lassen.

Über Thilo (1200 Artikel)
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