27 Jahre später: Diablo 1 ist morbide Kunst

„Netflix oder Schnetzeln?“

Jedes Mal, wenn mich meine Frau das abends fragt, zucken ihre Mundwinkel so komisch.

Kurz tue ich dann so, als ob ich wirklich die Wahl hätte. Erst nach einer kurzen Kunstpause kommt meine schüchtern vorgetragene Antwort: „Wir können nochmal schnetzeln, wenn du willst…“

Auch meine Mundwinkel zucken dabei komisch.

Dann grinst meine Frau düster und schaltet die Playstation ein.

Ja, wir haben uns in die bodenlose Grube namens Diablo 4 gestürzt. Nach dem göttlichen Baldur’s Gate 3 brauchten wir einfach ein neues Couch Coop-Game, mit dem wir am Ende des Tages überschüssige Aggressionen abbauen können.

Nun haben wir jedoch die Story durch, sind 100. Stufe und farmen nur noch die Grube, Nightmare Dungeons und „gequälte“ Bosse, um unserer einzigartigen Ausrüstung den letzten Schliff zu verpassen. Sprich, wir genießen das Schnetzeln von unfassbaren Horden von Monstern im Endgame.

Wahrscheinlich könnte ich nun über Diablo 4 einen ganz passablen Artikel schreiben und darin auf alles zu sprechen kommen, was der neuste Action-Dungeon Crawler richtig oder falsch macht. Doch das haben andere schon zu Genüge getan.

Stattdessen möchte ich eure schwarzen Herzen heute mit einem Erlebnisbericht über das gute alte Diablo 1 verzücken.

Inspiriert durch Diablo 4 bin ich auf die Idee gekommen, nochmal zu den Wurzeln der Teufelshatz zurückzukehren. Und ich kann jetzt schon verraten: Aus den 90ern stammen einfach die geilsten Retro-Games.

Also habe ich mir für 9,99€ im Battlenet nochmal das Game runtergeladen, für das ich seinerzeit die Abi-Klausur früher verlassen habe. Ja, nur um endlich weiter zocken zu können. Das düstere Hack and Slay-Game war für damalige Verhältnisse einfach bahnbrechend und hat komplett süchtig gemacht.

Doch nun, 27 Jahre später, sehe ich das Spiel mit ganz anderen Augen.

Es ist nicht etwa schlecht gealtert, im Gegenteil. In gewisser Weise ist es jetzt noch besser, weil man gewisse Aspekte daran heute mehr zu schätzen weiß. Damals haben wir es für ein Action-Spiel gehalten, doch…

Diablo 1 ist eigentlich rundenbasierter Oldschool-Survival-Horror

Rundenbasiert? Wovon faselt der da?

Ja, denn ursprünglich sollte Diablo ein rundenbasiertes DOS-Spiel werden.

Die Macher waren von verschiedenen Spielen inspiriert, insbesondere von Moria. In diesem noch komplett in ASCII-Zeichen dargestellten Dungeon Crawler mussten die Spieler immer Tiefer in einen Dungeon vordringen, um am Ende einen Balrog zu töten.

Das Ergebnis war das rundenbasierte Diablo.

Doch durch eine unerwartete Blizzard-Kooperation kurz vor Release wurde Diablo als Windows-Echtzeitspiel neu konzipiert. Vielleicht laufen wir in Diablo 1 deshalb wie auf Schienen und fühlen uns, als ob jemand einem rundenbasierten Game plötzlich unheiliges Leben eingehaucht hat.

Doch das ist nicht der einzige Grund, warum Diablo – gerade aus heutiger Sicht – ein reinrassiges Oldschool-Survival-RPG ist.

Es ist das Gesamtpaket, das heute so keine Chance mehr bekäme veröffentlicht zu werden:

Da hätten wir einmal die grandiose Musik! Einen derart düsteren und den Herzschlag-beschleunigenden Sound wie den im ersten Level von Diablo habe ich seitdem nicht mehr gehört. Er trieft nur so vor Mystik, Spannung und namenloser Schrecken im Dunkeln. In späteren Leveln haben wir dann trashige Metal-Töne und das gelegentliche Stöhnen von Frauen, die entweder gerade sehr viel Spaß haben oder gefoltert werden. Es ist unserer Fantasie überlassen.

Ebenfalls „oldschool“ ist die „gotische“ Grafik, die wirklich nicht hinterm Berg hält. Räume voller Leichen und Blut. Dämonen jeglicher Art. Umgedrehte, brennende Kreuze. Satanische Opfer auf Altären… All das würde heute sicherlich irgendeiner Art von Zensur zum Opfer fallen. Leider! Denn solche der „Satanic Panic“ den Stinkefinger zeigenden-Inhalte haben Diablo eine unglaubliche Atmosphäre verliehen.

Außerdem war Diablo sauschwer! Wer im Single Player nicht alle 5 Meter abgespeichert hat, hat wahrscheinlich regelmäßig mit der Faust auf den Tisch geschlagen. Doch damit bediente das Spiel den aus den 80ern geerbten Zeitgeist der Rollenspiele. Die waren alle Knüppelhart und nichts für Warmduscher. Und das galt auch für Inventar und Steuerung. Sowas wie „Quality of Life“ war damals noch ein Fremdwort.

Und doch machen all diese Aspekte Diablo 1 aus heutiger Sicht zu einem nostalgischen Vergnügen.

Ich kann nur jedem raten das Teil nochmal durch zu kloppen!

Die meisten von uns sind so verwöhnt und verweichlicht durch die Convenience-RPGs von heute, dass uns Diablo 1 nun wie reinrassiger Survival Horror vorkommt, bei dem jeder Schritt geplant werden muss.

Ich bin gespannt, ob sich eure Erinnerungen decken mit meinem jüngsten…

Diablo 1 Erfahrungsbericht

Argh, Zombie, wo kam der denn her?

Scheiße ist das dunkel hier drin, ich kann überhaupt nichts erkennen!

Ah, deswegen haben einige Gegenstände +Lichtradius, macht Sinn.

Fuck, kriege ich viel Schaden von den Schlägen, ich brauche Ausrüstung!

Ah, eine Kiste, endlich bekomme ich… AU! einen Pfeil in die Fresse, echt jetzt?

Schon wieder eine Sackgasse. Ewiger Gang und dann Wand. Könnte man doch rennen…

Meine Brandwunden bringen mich um, wieso explodierten diese Fässer eigentlich?

Oh, im letzten Fass waren magische Lumpen! Das ist der glücklichste Tag meines Lebens!

So langsam ist mein Inventar voll, zurück zur Stadt latschen.

Ich muss dringend zur Hexe und mir eine Scroll auf Town Portal kaufen.

Gott, ist das weit weg. Wieso kann ich nicht rennen?

Und wieso muss ich über die Brücke, wenn der Fluss nur einen Meter breit ist?

Ja, Schmied, ich will deinen ganzen nicht-magischen Plunder, weil ich keine Kohle habe.

Zurück im Dungeon, ein Raum voller Blut und Leichen… der Butcher!

Ich bin Level 6, habe eine Axt und eine Blitz-Zauberrolle, sollte ich schaffen.

AH FRESH MEAT!

Shit, Blitz daneben. Egal, spüre meine gewaltige Axt, Monst…!

Au…au…au…au… au…au…au…au…ARGL!

Verdammt, der Metzger schlägt so schnell, dass ich nicht zum Zurückschlagen komme.

Ach ja, deshalb gab es so Gegenstände mit „fast hit recovery“… gut, komme ich später wieder.

Oh, was ist das? Die gefürchtete Chamber of Bones! ALLES voll mit Skeletten. So viele!

Hm, die müssen alle durch diese Tür, um mich zu erreichen…

Nicht drängeln! Jeder kommt an die Reihe! Jeder nur einen Axthieb! Danke, beehren sie uns bald wieder…

Was sind das für kranke Ziegenmenschen? Diese Inbrunst! Wie sie Pirouetten drehen, um mich zu zermatschen!

Damn, ich treffe die kaum. Immer nur Stärke beim Levelaufstieg erhöhen ist eine dumme Idee. Ich brauche eine bessere Trefferchance!

Aua, ich habe einen Pfeil abbekommen. Der Ziegenmensch da hat einen Bogen! Na warte!

BLEIB ENDLICH STEHEN!!!

Gott, warum habe ich keinen Fernkämpfer genommen? Die Schweine rennen immer weg.

Oh, ein ganzer Raum voll mit Bogenschü… ARGL!

Ok, ich brauche einen Schild. Und mehr Leben. Ich brauche LEBEN!

Na, wie gefällt euch der Blitzstab, den ich bei der Hexe gekauft habe, ihr Fucker! BWAHAHAHA!

Scheiße, schon leer. Beine in die Hand nehmen. Fuck, um die nächste Ecke in eine weitere Gruppe reingerannt… AAAAAAAAAAH…

So langsam geht’s. Gut, dass einzigartige Gegner meistens auch einzigartiges Equipment verlieren.

Wieder ein Buch gefunden. Wenn ich es lese, höre ich so einen kurzen Mönchsgesang. Mystisch.

BEI DEN NEUN HÖLLEN! Ich bin fast tot, meine Heiltränke sind alle und mein Inventar ist voll.

Wieso habe ich DEPP nicht genügend Town Portals gekauft? Jetzt muss ich das alles zurücklatschen…

5 Tage später

Ok, es nützt nix. Ich muss ein paar Punkte in Magie investieren, damit ich im Notfall einfach den Town Portal-Zauber sprechen kann, den ich durch ein Buch gelernt habe.

Schmied, ist es ok für dich, wenn ich ein paar Gegenstände vor deiner Hütte auf den Boden werfe? Mir fehlt der Platz. Aber nur gucken, nicht anfassen, ok?

Oh, Lavaströme! Endlich kann ich mal ausreichend sehen.

Pfeile und Lavakugeln!? Schwärme davon? Ich… bin tot.

Ok, ich brauche ein Schild zur Abwehr und bessere Resistenzen!

Wieso hat der Schmied nie was ich brauche? Langsam verstopft das ganze Gold mein Inventar.

Hm, all die Goldhäufchen vor der Hütte sehen aus wie ein Weizenfeld. Nur gucken, nicht anfassen, ok?

Ah, der Priester hat Tränke im Angebot, die permanent die Attribute steigern! 5k pro Trank ist happig, aber ich kann ja sonst eh nichts mit meinem Gold anfangen… ich nehme alles, was du hast!

Ach wirklich, Schmied, du hast jetzt doch neue Waren? Jetzt habe ich all mein Gold in Tränke geballert.

BOAH ist die Rüstung geil, was kostet sie denn?

MOTHERFU****!

Ok, ohne die Rüstung zurück in die Hölle. Oh, eine neue Gegner-Sorte… sexy, how are you doing…?

AAAAARGH!

Titten, alles voller Titten. Aber die Weiber sind tödlich, absolut tödlich! Und sie rennen immer weg.

BLEIB ENDLICH STEHEN!!!

Da kommt eine Wand, du kannst nirgendo hin. JETZT HABE ICH DICH! HARHARHAR!!!

So befriedigend, wenn sie stöhnend draufgehen. Scheint ihnen Spaß zu machen. Win-Win.

So langsam komme ich dem untersten Level näher.

Die Chaos-Ritter sehen GEIL aus. Und wie sie sich so spektakulär in einem magischen Wirbel auflösen…

Down to Diablo.

Es ist so weit.

Meine beste Waffe ist ein magischer Knüppel: Gnarled Root.

Kann mich kaum an den Kampf erinnern, den ich zuletzt in den 90ern ausgetragen habe…

Ok, Treppe runter.

ARGH! Dutzende von Sukkuben und teleportierende Magier stehen um ihn herum!?

Wie soll ich das schaffen? Erst mal wegrennen.

Puh, an den Fuß der Treppe gerettet. Mit dem Rücken zur Wand.

Jetzt kommen sie wieder einzeln um die Ecke.

Wer traut sich als erster?

SCHOCK! Diablo persönlich?

Oh, ist der süß. Hatte ihn viel größer in Erinnerung.

Geil, mein magischer Knüppel macht nicht viel Schaden, trifft aber mit jedem Schlag.

Shit, jetzt gesellen sich Chaos-Krieger und Magier dazu.

So langsam unterbrechen sie zu oft meine Attacken.

Oh, Diablo hat sich aufgelöst. Und mit ihm alle seine Handlanger. Das war knapp!

Die gruselige Abspann-Szene läuft.

Warum noch mal haue ich mir den Höllenstein in die Stirn?

Jetzt bin ich Diablo, oder? Great. Aber irgendwie passend für dieses infernale Game.

Ciao Kakao.

Über Thilo (1205 Artikel)
Hi, ich bin der Gründer dieses bekloppten Blogs. Außerdem Realitätsflüchter, Romantiker, Rollenspieler, Gamer, Fantasynerd, Kneipenphilosoph und hochstufiger Spinner. Manchmal jogge oder schwimme ich, doch meistens trinke ich Bier.