Altered Carbon – Das Unsterblichkeitsprogramm ist ein geiler düsterer Cyberpunk Krimi
So, bevor ich jetzt gleich in glühendem Lob für Altered Carbon dahin schmelze, muss ich fairer Weise vorweg schicken, dass ich extrem euphorisch an die Serie rangegangen bin. Durch zweifaches Durchleben von Blade Runner 2049 im Kino und einen Bier-schwangeren Rewatch des Vorgängers, war ich einfach nur rattenscharf auf die ganze Scifi-Noir-Atmosphäre, die Altered Carbon sehr gekonnt kopiert und teilweise sogar noch überbietet. Aber dazu später mehr.
Die Serie basiert auf dem Buch Das Unsterblichkeitsprogramm von Richard Morgan, das 2002 erschienen ist. Die Story spielt im Jahr 2384 einer düsteren Cyberpunk-Welt, die sehr an Blade Runner erinnert. Menschen müssen hier nicht mehr notwendiger Weise sterben, wenn ihr Körper zu alt, krank oder verwundet ist. Ihr Bewusstsein wird einfach auf kleinen Scheiben, den sogenannten “stacks”, gespeichert und im Todesfall im Nackenbereich eines neuen Körpers verbaut. Doch während die Reichen sich die besten „Sleeves“ leisten und ihr Bewusstsein sogar zu Lebzeiten schon mal in andere Klone versetzen können, muss die arme Bevölkerung nehmen, was gerade da ist.
Dieses Konzept führt zu einer herrlich gespaltenen Gesellschaft von „Normalsterblichen“, die um ihre nächste „Hülle“ kämpfen müssen – wenn dies ihre religiöse Überzeugung überhaupt zulässt – und den sogenannten „Meth“, uralten Methusalems, die vollkommen gelangweilt in Riesentürmen über den Wolken leben und sich durch perverse Spiele und ausufernde Dekadenz von den Ermüdungserscheinungen der Unsterblichkeit abzulenken versuchen.
In dieser schillernden Neon Welt von Virtual Reality und Bewusstseinsreisen erwacht Takeshi Kovacs (Joel Kinnaman), ein speziell geschulter Söldner einer Eliteeinheit, nach längerer Haftstrafe in einem neuen Körper. Sein für Kampfeinsätze modifizierter neuer Sleeve ist jedoch das Eigentum des ultrareichen Laurens Bancroft (herrlich arrogant gespielt von James Purefoy). Dieser verlangt nun von ihm, dass er einen Mord für ihn aufklärt, nämlich den an ihm selbst.
Und so interessant das auch klingt, so kann sich die Story jedoch auch in die Länge ziehen. Ich muss gestehen, dass ich erst bei Folge 7 von 10 angekommen bin, doch ich glaube jetzt schon sagen zu können, dass die Story der einzige Schwachpunkt an Altered Carbon ist. Zu viele Rückblenden, für meinen Geschmack, und „Side Quests“ trüben ganz leicht die Suppe, die ansonsten nur aus geilem Cyberpunk, Sex und Gewalt besteht.
Denn allein die Action, die bunten Charaktere, sowie Optik und Atmosphäre reichen vollkommen aus, um mit Game of Thrones-Schaum vor dem Mund zu bingewatchen. Das ist wirklich glorreiches Edel-Science Fiction, welches noch vor Jahren, im Prä-Netflix-Zeitalter, aus Budget-Gründen undenkbar gewesen wäre.
Doch nicht nur die Produktionsqualität, sondern auch die Charaktere machen Lust bei der Serie am Ball zu bleiben. Und das, obwohl ich mit dem Hauptcharakter, bzw. dessen meistbenutztem Sleeve, nie so ganz warm geworden bin. Vermutlich bin ich nur mega eifersüchtig auf den tadellosen Körperbau, den Joel Kinnaman mit ans Set bringt. Ebenfalls angetan haben es mir die Latina-Polizistin Kristin Ortega (Martha Higareda), die genauso nervig wie sie sexy ist, und das Hologramm Poe, welches im VR-Hotel „Raven“ für noch einen weiteren Schuss Gothic und Düsternis in Altered Carbon sorgt. (Witzig: Im Buch ist es nämlich stattdessen das “Hendrix”, benannt nach dem gleichnamigen Rocksänger.)
Also letztlich kann ich die Serie vorbehaltlos als grandiose Edel-Unterhaltung nur ans Herz legen. Trotz in die Länge gezogener, seichter Story, reicht das Konzept der „Sleeves“ und „Stacks“ für mich vollkommen aus, um in verbotenen Cyberpunk-Gedankenwelten zu schwelgen. Und ja, ich würde mir auch einen modifizierten Sleeve mit eingebautem Pheromon-Touch kaufen und mich dann durch die Stadt vögeln. Wer nicht?
Abschließend finde ich die Beobachtung interessant, dass trotz stimmiger Welt, für mich bei Altered Carbon ein kolossaler Denkfehler zu Grunde liegt; Betonung auf „DENK“-fehler. In der Welt von Altered Carbon wird davon ausgegangen, dass Gedanken mit Bewusstsein gleichzusetzen sind. Dadurch können Körper wie „Anzüge“ getragen werden, weil die Persönlichkeit mit allen Gedanken (Erfahrungen, Ansichten etc.) komplett auf dem „Stack“ gespeichert ist. Doch auch 2002, als der Roman erschien, war unsere Wissenschaft schon so weit, dass wir wussten, dass die Persönlichkeit eines Menschen die Summe seiner im Verlauf seines Lebens gewachsenen Synapsenverknüpfungen im Hirn ist (siehe Neuroplastizität). Was jedoch das Bewusstsein ist, das diesen „Fleischcomputer“ sich seiner selbst bewusst sein lässt, ist seit tausenden von Jahren, bis heute, ein Rätsel für die Wissenschaft. Bei Altered Carbon wird scheinbar jedes Mal beim Hochladen des Bewusstseins, das Hirn des neuen Wirtes, also all dessen Synapsenverknüpfungen, komplett ignoriert oder überschrieben (?). Insofern liegt bei Altered Carbon die Betonung ganz klar nicht auf Science, sondern auf Fiction. Tut aber der Serie, wie gesagt, natürlich nicht den geringsten Abbruch. War mir nur so aufgefallen. Mir altem Klugscheißer.