Arrival ist Arthouse-Science Fiction mit delikatem Brainfuck
8 von 10 Heptopoden
Ihr habt es sicher schon gehört: Arrival ist nicht einer dieser Science Fiction-Filme, in denen es spektakuläre Raumschlachten, wahre Gewitter von Lasersalven oder schleimtriefende Weltraummonster zu bewundern gibt. Es kommen auch keine Facehugger, Außenteams mit Tricordern oder gigantische Weltraumstädte vor. Scheiße, es gibt noch nicht mal kleine grüne Männchen in fliegenden Untertassen, die ahnungslosen Southpark-Bewohnern Analsonden einpflanzen. MANN! Was für ein scheiß Film ist denn Arrival bitte?
Ok, Spaß beiseite. Auch wenn ich mehr als bereit für den nächsten Teil von Alien wäre und sich alles in mir nach Säure, Laser und Lichtgeschwindigkeit verzehrt, bin ich trotzdem überaus angetan von diesem ruhigen, atmosphärisch dichten und tiefgründigen Science Fiction-Film, der eben genau durch das Fehlen einiger Hauptzutaten des Genres beinahe zu Arthouse-Kino wird.
Als Grundlage dafür dienen 12 riesige muschelförmige Raumschiffe, die, verblüffend unamerikanisch, scheinbar keinen Independence Day-Todesstrahl als Gastgeschenk dabei haben, sondern plötzlich aus dem Nichts auftauchen und einfach still, nur einige Meter über dem Boden schwebend, vor sich hin brüten. Ab und an geht eine Luke auf und die verwirrten Menschen dürfen versuchen mit den „Heptopoden“ zu kommunizieren, die mit Ihrer Erscheinung allein schon heftige Xenophobie triggern. Dass die „Tintenfische“ mit Ufos angereist sind und demnach vermutlich nicht gegrillt und mit Rotweinsoße verputzt werden dürfen, muss erst mal durchsickern.
Natürlich fühlen sich die Menschen durch fremde (intelligente) Andersartigkeit erst mal fundamental bedroht, so dass der größte Teil von Arrival damit verbracht wird, eine Verständigungsmöglichkeit mit den Aliens zu etablieren. Dabei macht Amy Adams als Expertin für Sprachen eine grandiose Figur neben Hawkeye, der von Adams ziemlich locker an die Wand gespielt wird.
Arrival ist definitiv ruhige, nackenhaar-aufstellende Science Fiction, die mit Konfrontation auf verschiedenen Ebenen menschlicher Gefühle und Gedanken, nachdenklich machen möchte. Die volle Wirkung des Films, bzw. sämtliche Implikationen des gerade Gesehenen, entfalten sich erst am Ende der fast zweistündigen Spieldauer und geben Anlass für angeregte Diskussionen. Genau dafür bekommt der Film von mir auch hauptsächlich seine solide Bewertung von 8 Punkten. Allerdings sind mir einige Dinge aufgestoßen und einige Fragen sind für mich unbeantwortet geblieben. Darum möchte ich nun ohne weitere Umschweife zum zweiten Teil dieses Reviews überleiten, dem
Arrival SPOILER- und Diskussions-Teil
Ok, wer jetzt noch weiter liest, den Film aber noch nicht gesehen hat, ist selbst schuld. Und ein Affe.
…
Also, fangen wir mit ein paar Verhaltensweisen der Menschheit an, die ihr von Regisseur Denis Villeneuve, wie ich hoffe, zu Unrecht angedichtet werden.
Zunächst mal finde ich die Prämisse des Films mal wieder sehr fragwürdig. Würden die Nationen der Erde wirklich denken, dass Außerirdische, die die Möglichkeit besitzen Raum und Zeit zu überwinden, um einfach so mit gigantischen Raumschiffen unter uns aufzutauchen, uns feindlich gesonnen sein könnten? Ich meine, wenn die uns „aus dem Weg“ haben wollen würden, dann wären wir es bereits, bevor wir uns über Schwachstellen in ihren überlegenen Raumschiffen Gedanken machen könnten. Dieser xenophobe Irrglaube gipfelt dann später im Film in Chinas umnachteter Angriffshaltung den Aliens gegenüber, nur weil diese scheinbar „Waffe anbieten“ geäußert haben. Nicht nur, dass die Behämmerten davon ausgehen, dass nach unzähligen Fehlübersetzungen und Ratespielen nun ganz sicher alles klar verstanden wurde, nein, sie kommen auch noch zu dem Rückschluss, die Raumschiffe aus ihrem Luftraum „entfernen“ zu wollen/können. Nochmal zum Mitschreiben: Wieso sollten die Aliens feindlich sein? Und wieso denkt ihr, dass ihr dann noch leben bzw. noch nicht in ihren Organfarmen baumeln würdet? Niemand kommt 100 Millionen Lichtjahre geflogen – oder aus einer anderen Dimension -, um mit Superwaffen auf Affen zu schießen.
Ich kann nur hoffen, dass die Menschheit durch alberne Patrioten-Scifi-Filme wie Independence Day nicht derart geistig verkümmert ist, dass sie bei einem außerirdischen Erstkontakt sofort an Feindseligkeit denken würde. Andererseits haben die Amis gerade Trump zum Präsidenten gewählt… Vielleicht macht uns Denis Villeneuve mit Arrival auch völlig zu Recht auf unsere Kleingeistigkeit aufmerksam? Also ich musste zumindest fast losprusten, als die den lustigen Tintenfischen eine Bombe in den Aufzug geparkt haben. Grandiose Idee. Das klappt bestimmt.
So manche dargestellte Verhaltensweise der Menschen war für mich etwas zweifelhaft. Die andere Sache, war die mit der Realitätsveränderung.
Also, wenn ich den Film richtig verstanden habe, ist die Handlung kreisförmig aufgebaut, genau wie die Schriftzeichen bzw. die Sprache der Heptopoden, die, anders als die Menschen, keine lineare Zeitwahrnehmung haben. Fürderhin geht der Film von der Prämisse aus, dass die Behauptung des US-amerikanischen Linguisten, Edward Sapir, wahr ist, der schon in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, behauptete:
Was wir sehen, hören oder anderweitig erfahren, ist zum größten Teil so beschaffen wie es ist, weil die sprachlichen Gewohnheiten unserer Gemeinschaft bestimmte Interpretationswahlen prädisponieren.
Das heißt also, das Amy Adams Charakter, am Ende (und Anfang) des Films durch die neue Sprache der Außerirdischen dazu befähigt ist, ihr Leben als Ganzes zu sehen; also sprich, AUCH die Zukunft.
Meine Frage daher: Wenn sie sich selbst durch den Verteidigungsminister von China dessen Telefonnummer sagen lassen kann, um in einem „anderen Teil“ ihres Lebens diesen vom (schwachsinnigen) Angriff auf das Raumschiff abhalten zu können, wieso muss ihre Tochter dann trotzdem an Krebs sterben? Ich bin mir sicher als allwissendes Wesen wäre da was zu machen gewesen, oder? Sie fragt ihren Stecher im Film zwar: Wenn Du Dein ganzes Leben sehen könntest, würdest Du was ändern? Und impliziert damit irgendwie, dass sie es nicht tun wird. Doch warum? Positiv ausgelegt, ist das eine der schöneren Botschaften des Films, nämlich, dass jedes Leben als Ganzes trotz aller Schicksalsschläge so einzigartig, sinnvoll und schön ist, dass man eben nichts ändern würde.
Das bringt mich allerdings zu meiner zweiten Frage: Hat der Regisseur auch mal über die Implikationen nachgedacht, was passieren würde, wenn die Menschheit durch eine neue Sprache ihre Realität plötzlich nicht mehr linear wahrnehmen würde?
Also, wenn das keine oberhammerkrasse Singularität wäre, die das menschliche Leben komplett aus den Angeln hebt, dann weiß ich es auch nicht.
Meiner Meinung nach, müssten oder könnten zwei Szenarien eintreten: Entweder, die Menschen würden zu Quasi-Göttern, weil sie den Ausgang sämtlicher Szenarien ständig schon wüssten und damit sämtliche Technologien etc. „schon entwickelt“ hätten. In diesem Fall wäre die Langweile des menschlichen Lebens sicher schnell unerträglich und es würde zu einem Massensuizid kommen. Oder, die Menschen können ihr Leben nur als Ganzes SEHEN, aber nicht eingreifen (was aber irgendwie unlogisch wäre, weil sie dann sowas wie Marionetten in einem Film wären). Das wäre ebenfalls ziemlich furchtbar und auch wenig spannend, weil komplett vorhersehbar. Wieder Massensuizid, oder?
Und zu guter Letzt schnellt sich mir natürlich die Frage, ob eine außerirdische Sprache überhaupt unsere Realitätswahrnehmung in dieser Weise überschreiben KÖNNTE? Denn, um die Sprache der Außerirdischen zu verstehen, muss ich sie ja zunächst in eine Sprache übersetzen, die ich bereits kann und verstehe. Und wenn sich zwei Worte dieselbe Bedeutungsebene von „Apfelbaum“ oder „Pinkeln gehen“ teilen, ist das noch nicht sehr realitätsverschiebend, oder? Wie soll mir eine neue Sprache neue Realitätskonzepte ins Hirn pflanzen, wenn sie sich dabei der Vokabeln meiner Sprache bedienen muss, damit ich es überhaupt verstehe?
Vielleicht hat das ja einer von euch anders oder besser verstanden? Dann wäre ich über sachdienliche Hinweise dankbar! 😉