Fleisch
Gibt es Schöneres im Leben?
Mein Vater hat schon früh den Grundstein dafür gelegt, dass ich nie ein Vegetarier werden konnte. Im zarten Alter, als ich selbst noch so wenig auf den Rippen hatte, dass ich unbehelligt durch ein Rudel Wölfe hätte spazieren können, hatten wir eigentlich immer Wurst im Haus. Außerdem sorgte mein Dad dafür, dass sein Spargel-Tarzan mindestens einmal die Woche ein anständiges Steak in die Pfanne bekam. Vermutlich damit Mogli nicht für den Rest seines Lebens zum Gespött des Dschungels würde. Ob Herz, Nieren, Zunge oder Leber, ich verschmähte nichts.
Das hat seine Wirkung nicht verfehlt. Heute bin ich es, der schallend lacht und zwar über die schmächtigen Pflanzenfresser, die sich Vegetarier nennen. Oder über ihre Anführer, die Veganer, deren bleiche Haut ein manifestierter Hilfeschrei ihrer Mangelerscheinungen ist. Damit das an dieser Stelle nicht mißverstanden wird: Ich verachte die Körnerkauer nicht, sie tun mir nur so schrecklich leid! Wie können sie denn Mutter Natur nur so sträflich ignorieren und ihre Schneidezähne einfach stumpf werden lassen? Was bitte liegt denn näher als dümmere Lebewesen zu jagen, zu töten und dann zu verspeisen? Jahrtausendealte Tradition, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das bedeutet natürlich nicht, dass man Dieter Bohlen einfach aufessen darf…
Aber ich rede ja hier auch von Tieren, über die uns der Allmächtige, neben den Pflanzen, so freundlich war die Herrschaft zu geben. Und die sind nunmal einfach lecker, was soll man machen? Am liebsten blutig bis medium an Kräuterbutter auf einem Bett aus Salat, so wie ein gesunder Carnivore auf einem schwächlichen und nach Luft japsenden Herbivore sitzen würde. Fleischfresser oben, Pflanzenfresser unten, so war das schon immer. Noch weiter unten in der Nahrungskette kommen nur die leicht seltsam anmutenden Fruktarier, die einen Baum anbetteln müssen, er möge doch einen nicht mehr benötigten Apfel fallen lassen, um sich mal richtig satt essen zu können. Gibt es eigentlich wirklich solche Leute, also praktizierende Fruktarier, oder war das mal eine kurzlebige Sekte, die in irgendeinem Geschichtsbuch aufgetaucht ist? Fällt mir einfach schwer sowas zu glauben…
Warum gibt es immer wieder Märtyrer im Volk, denen die Herrausforderungen und Beschwernisse des menschlichen Lebens nicht ausreichen; Typen, die sich nur durch Selbstlimitierung „befriedigen“ können? Gibt es eigentlich Anti-Todsünden? Also das Gegenteil von Völlerei z.B.?
Aber wenden wir uns wieder der Serotonin und Endorphin durchfluteten Welt der Omnivore zu. Ich leide doch lieber an einem leichten Völlegefühl, als an nagendem Hunger… Oder wie Oscar Wilde gesagt hätte: „Es ist besser etwas zu bereuen, das man getan hat, als etwas, das man nicht getan hat.“ Trotzdem läßt sich natürlich alles auch übertreiben und manche Dinge sprengen die Grenzen des „guten Geschmacks“.
So hat unsere Wohlstandsgesellschaft einen Fress-Schuppen namens „Waldgeist“ hervorgebracht, den die Eigentümer wohl besser „Waldwanst“ genannt hätten. Hier lächeln einen von der Speisekarte XXXXXXXL-Gerichte an und man möge mir glauben, dass sich an dieser Stelle nicht mein Finger mit der X-Taste meines Keyboards paaren wollte. Ein ganzes Schnitzel füllt gleich zweimal den Teller, mit einer Pufferschicht Fritten dazwischen. Wer nicht aufißt, bekommt die sog. „Looser-Folie“ und darf den Anstandsrest unter vorwurfsvollen Blicken der Belegschaft mit nach Hause nehmen. Da ich an dem zweifelhaften Ruhm, Schnitzelkönig zu sein, nicht sonderlich interessiert war (ich stelle mir einen rotbäckigen, schwitzenden Mittvierziger mit einem Zepter aus Blutwurst vor, der dümmlich grinsend auf seinem Holzthron zusammengesunken ist, nachdem er unbemerkt einen Herzinfarkt hatte), habe ich mir eine eher modeste Portion Rumpsteak bestellt. Nicht so der stärkste Mann unter meinen Arbeitskollegen, welcher sich 1,2 Kilo des schmackhaften Fleisches braten ließ. Long story short: Nachdem er über eine Stunde daran gekaut hatte, ist das letzte Stück in den Magen eines Kollegen gewandert. Bei den letzten Bissen wirkte er, als würde er den Tag seiner Geburt bereuen. Ich habe mein Bestes getan ihn aufzuheitern und ihm Mut zu zusprechen.
Hinterher habe ich mich gefragt, ob ihn der Lutscher, den es zum Abschied gab, zum kotzen bringen würde. Da wir mit zwei Autos zurückgefahren sind und er im anderen saß, kann ich nur vermuten was unterwegs passiert ist. Ich nehme an, dass am selben Abend noch ein Polizeibeamter bei einer Routinekontrolle von einer sämigen Kotzwoge davon gespült wurde, als der Fahrer die Tür öffnete. Man merkt an der von mir gewählten Bildlichkeit, dass ich das Restaurant für überflüssig halte. Die römischen Zeiten, als man sich noch mit einer Fasanenfeder am Gaumen erleichterte, um noch mehr essen zu können, sind einfach vorbei. Alles in Maßen lautet mal wieder die Zauberformel, die mir ein paar Zeilen des von mir bewunderten Renaissance Dichters Sir John Suckling aus dem Gedicht „Against Fruition“ (gegen Erfüllung) in Erinnerung ruft:
Fruition adds no new wealth, but destroys,
And while it pleaseth much the palate, cloys;
Who thinks he shall be happier for that,
As reasonably might hope he might grow fat
By eating to a surfeit; this once past,
What relishes? Even kisses lose their taste.
[…]
´Tis expectation makes a blessing dear;
Heaven were not heaven, if we knew what it were.
[…]
(it) leaves us room to guess; so here restraint
Holds up delight, that with excess would faint.
They who know all the wealth they have are poor,
He’s only rich that cannot tell his store.
Ahhhh….was ist Fleisch, verglichen mit diesem Balsam für den Geist? Die „Libertines“ am Englischen Hof waren sicherlich übersättigt und faul, hatten dafür aber viel Zeit zum nachdenken und haben so das eine oder andere feine Gedicht produziert.
Ich verbleibe mit den Worten: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Was ist schon das bischen Protein, das ich runterschlucke, verglichen mit den Schlössern aus Zucker und Honig, die ich mit meinem Geist erschaffen kann? „Mind over Matter“, das ist es, was uns zum Menschen macht.