Mein erstes Steampunk Rollenspiel: Dishonored

Steampunk, viele wissen gar nicht was das überhaupt ist oder mutmaßen auf Nachfragen hin so was wie „das ist doch Science Fiction im Mittelalter oder so… richtig?“ Well, not exactly.

Als Nerd und Anglist weiß ich natürlich, dass Steampunk ein sogenannter „Historical Proxy“ ist, also eine alternative Variante der Weltgeschichte, in diesem Fall des viktorianischen Zeitalters. Mit dem Unterschied, dass in der industriellen Revolution dieses Proxys nicht nur die ersten Luft- und Dampfschiffe erfunden wurden, sondern auch Gegenstände aus viel späteren Zeitaltern der Menschheitsgeschichte. Alles kann demnach mit Dampf oder teilweise Elektrizität betrieben werden, Roboter, Laserpistolen und sonstige „Gadgets“. Eine der vollkommen unterrepräsentierten Seiten im Netz, die sich auf Steampunk spezialisiert hat, namentlich der „Clockworker“, hat Steampunk HIER für Interessierte sehr schön zusammengefasst.

In meiner Nerd-Karriere ist mir in Form des Pen & Paper-Rollenspiels Shadowrun zunächst der Cyberpunk begegnet. Erst viel später lernte ich dann andere Spielarten der Fantasy wie Steampunk, Nanopunk, Biopunk, Clockpunk und was nicht noch alles kennen. Das sind alles Nischen-Spielarten, die interssant sind, aber nicht gegen Tolkien und seine „Classic Fantasy“ mithalten können. Laut einer Studie, die ich mal gelesen habe, macht „Classic Fantasy“ 90% der Online Games aus im RPG-Sektor.

Dementsprechend war ich auf die Atmosphäre und Action von Dishonored sehr gespannt. Im Folgenden meine Eindrücke nach ca. 5h Spielzeit.

Grafik und Atmosphäre

Super. Man schleicht als Meistermeuchler „Corvo“ mit Armbrust, Pistole, Messer und Magie bewaffnet durch die Strassen einer typisch englischen Industrial Age-Stadt, die grafisch sehr schön und mit Weitblick (sofern es die Grafikkarte erlaubt) in Szene gesetzt ist. Überall fallen Rattenschwärme über die Leichen her, die in der von einer pestartigen Krankheit heimgesuchten Stadt an jeder Ecke liegen. Immer wieder ertönen über Lautsprecher Durchsagen, die zur allgemeinen Atmosphäre der Verzweiflung und des Verfalls beitragen.

Der absolute Knüller, gerade für mich als Edgar Allan Poe-Fan, ist jedoch bislang das morbide vor sich hin schlagende Steampunk-Herz, welches Gheimnisse über Orte und Personen verrät. Ganz im Stile von Poes Geschichte „The Tell-Tale Heart“ klopft das Herz schneller, wenn man in die Nähe einer magischen Rune oder eines Knochenartefakts kommt. Es macht also Sinn das Ding in ruhigeren Spielpassagen ständig ausgepackt und in Gebrauch zu haben. Davon abgesehen, murmelt die melancholische Frauenstimme des Artefakts ständig interessante Geschichten, die ungemein zur Tiefe der Atmosphäre beitragen. Eine grandiose Idee der Macher.

Man gewöhnt sich an das eklige Herz … eines der Highlights des Spiels

Die Action

Ich glaube, ich hätte lieber nochmal Doom 3 zocken sollen. Trotz aller gut gemeinter Ratschläge des Spiels auch mal „alternative Wege“ auszuprobieren, um ans Ziel zu gelangen, hatte ich doch am meisten Spaß dabei Skyrim-Style durch die Level zu rennen und die Gegner mit zwei Waffen gleichzeitig aus ihren Kutten zu ballern und zu schlitzen. Überall in den schönen Leveln laden lange Rohrleitung und Balkone dazu ein wie ein unheilvoller Schatten über die Gegner zu kommen, welche dann stylish mit dem „Falkenangriff“ von oben erledigt werden, so dass sie noch nicht mal wissen, warum plötzlich das Licht ausgeht. Gleichermaßen offensichtlich rennen überall vor Lüftungsschächten Ratten rum, die man magisch besetzen kann, um z.B. unbemerkt in ein Haus einzudringen. Aber unbemerkt? FUCK, wer will das schon? Immer wenn ich mal eine etwas assassinenhaftere Spielweise ausprobiert habe, fühlte ich mich unbefriedigt. Der Brandbolzen auf meiner gespannten Armbrust sah regelrecht traurig bis vorwurfsvoll aus. So bin ich dann meistens zurück gegangen, um präzise, gründlich und glücklich lächelnd alles Leben auszulöschen. JUST SO MUCH MORE FUN! Besonders, weil die Attacken häufig mit schicken Enthauptungen oder anderen Effekten enden, die mein kleines Sadistenherz einfach höher schlagen lassen. Was soll ich machen?

Kritik:

Mir ist das ganze eigentlich schon fast zu actionlastig mit zu wenigen Rollenspielelementen. Natürlich gibt es Quests und Gespräche en Masse, aber ein System zum Aufsteigen und mehr Beute für mehr Inventarplätze wäre toll gewesen. Ich weiß ja nicht, was mich noch alles erwartet, aber es sieht so aus, als wären Armbrust, Pistole und Schwert auch schon das Ende der Fahnenstange. Man kann zwar alle Waffen beim Händler upgraden, aber mir fehlt ein wenig die Vielfalt. Auch die Zaubersprüche sind eher mager ausgefallen in ihrer Menge. Sie sind zwar toll in Szene gesetzt und machen Spaß (Ich liebe das Rumteleportieren!), aber mehr Auswahl wäre auch hier nicht übel gewesen.

Vorläufiges Fazit: Ich werde da jetzt wie Rambo durchrennen, um meinen Weg mit Leichen zu pflastern, alle malerischen Orte zu sehen und das Herz reden zu hören. Aber als Steampunk-Rollenspiel, im Sinne eines komplexen Erlebnisses mit „Customizing Möglichkeiten“, fesselt es mich nicht genug. Mein Tipp: Wer Bock auf Steampunk hat, wartet bis das Game auf Steam was billiger ist und zockt es an einem verregneten Sonntag durch.

Über Thilo (1210 Artikel)
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