Coole Nerds und soziale Akzeptanz

Foto von Alperen Yazgı auf Unsplash

Ein Gastartikel von Nico Jakobs

Ich habe schon so manche Jobs gehabt, auf die ich nicht stolz bin. Mal brauchte ich das Geld, mal wollte ich einfach nur einen Tapetenwechsel. Ruhm und Reichtum sind halt nicht so einfach, doch mit meinem letzten Job war ich dem Traumschloss aus Gold schon einen ganzen Schritt näher.

Ich war Kurier – Das klingt erstmal nicht nach viel und tatsächlich war der Alltag hier nicht sonderlich glanzvoll. Regelmäßige Arbeit, regelmäßige Bezahlung. Bei den horrenden Mietpreisen für Wohnungen in der Hafen-City ist man dafür schon dankbar. Doch das Alles sollte sich an einem ganz besonderen Tag ändern…

Wer der Kunde für den Auftrag war, wusste ich nicht. Details wie dieses waren uninteressant für das „Fußvolk“. Das musste aber ein hohes Tier gewesen sein, denn das aufwändig gestaltete Paket ging per Übernacht-Express von einem Stadtende direkt ins Nobelviertel. Auch waren wir insgesamt zu viert, drei Arbeitskollegen kamen mit mir – Ob zu unserer Sicherheit, oder zur gegenseitigen Kontrolle, da war ich mir nicht sicher. Dass wir nur zu Fuß lieferten, scheint mir in Nach hinein ebenfalls ziemlich dumm, es gibt doch heute so viele andere tolle Arten der Fortbewegung… Aber sei’s drum, Arbeit ist schließlich Arbeit und vielleicht könnte hierbei ein netter Bonus für uns alle abspringen.

Es war ungewöhnlich dunkel, als wir aufbrachen. Auch war es ungewöhnlich still. Für eine Stadt, die praktisch niemals schläft, hieß das sicherlich nichts Gutes. Auch wenn unsere Arbeit absolut legitim war, fühlte es sich an, als seien wir entflohene Häftlinge. Die absolute Stille verführte quasi dazu, auch selbst mucksmäuschenstill zu sein. Dazu hallte jedes noch so leiste Knistern oder Rascheln gleich viel lauter, sodass meine Kollegen und ich merklich nervöser wurden. Doch unsere geschärfte Wahrnehmung genügte nicht.

Bevor ich es sah, spürte ich es. Zuerst ein siechender Schmerz, dann ein höllisches Brennen, direkt unter meinem Schulterblatt. Ein Messer aus der Dunkelheit. Den Angreifer erkannte ich nicht und der Schmerz zwang mich zu Boden. Nur Fetzen von dem, was danach geschah, konnte ich erkennen. Doch dann war alles still.

Ich starb.

So ein Mist.

Kurz danach entschuldigte sich der Spielleiter und fragte, ob ein so frühes Abtreten für mich okay war. Da ich ohnehin ein meiner Meinung nach noch interessanteres Charakterkonzept in petto hatte, war das kein Problem. Außerdem habe ich gehört, dass soeben eine Stelle als Kurier freigeworden ist, und dazu eine schicke Wohnung in der Hafen-City von Neverwinter…

All dies war ein Auszug einer Dungeons & Dragons-Kampagne, die unser Spielleiter selbst entwarf („Homebrew“). Längst schäme ich mich nicht mehr dafür, Geschichten wie diese zu erzählen, nicht online und auch nicht offline. Zum Dienstantritt in meinem aktuellen echten Job wurde ich gebeten, den Personalern ein paar meiner Hobbies zu nennen, damit sie eine schöne Willkommens-Email an das ganze Team senden können. Unter anderen gab ich Gaming und Tabletop-RPGs an, ohne dabei vor Scham im Boden zu versinken. Es kamen sogar Kommentare á la „Das ist ja cool!“, „Hat mich schon immer interessiert!“ und ab und zu „Das gefällt mir auch!“

D&D-Boom?

Schämt Ihr Euch eigentlich noch für Eure nerdigen Hobbies, oder war das noch nie ein Problem? Fakt ist, dass sowohl Videospiele, insbesondere aber auch Tabletop-Rollenspiele immer beliebter werden. Der Klassiker D&D ist hier ein klarer Gewinner, Dungeonvault schätzt die weltweite Spielerzahl aller Versionen auf ca. 13,7 Millionen.

Gründe für den Beliebtheitsboom gibt es viele. Eine wichtige Rolle spielen hier die Medien, denn diese werden immer mehr mit „nerdigen“ Themen gesättigt. Serien wie Game of Thrones, Stranger Things und aktuell The Witcher schüren die Lust auf Fantasy. Die Webserie Critical Role von Profi-Synchronsprecher Matt Mercer & Co. zieht Millionen von Zuschauern in ihren Bann und zeigt Rollenspiel von seiner wohl besten Seite. Auch Filmstars wie Vin Diesel setzen sich dafür ein, Nerd-Kultur in den Mainstream einzuführen.

Zu guter Letzt zieht auch ein überarbeitetes Regelwerk besonders neue und unerfahrene Spieler an, denn seit der fünften Edition von D&D geht es eindeutig eher um guten Spielfluss als um langes Diskutieren mit dem Spielleiter. Wie sehr das schlauchen kann, können Pathfinder-Spieler sicherlich bestätigen.

Also, Tabletops sind einfacher denn je, zugänglicher denn je und somit beliebter denn je. Die letzte zu überwindende Hürde ist wohl die Scheu davor, selbst in eine fremde Gruppe einzutreten und in dieser letztendlich zu schauspielern. Doch selbst wem dies noch zu unangenehm oder gar peinlich ist, für den gibt es die Möglichkeit, über Portale wie Roll20 oder Fantasy Grounds seine Schlachten virtuell zu schlagen. Die Entfernung spielt also auch keine Rolle mehr (sondern lädt eher zum Spiel einer Rolle ein… sorry).

Embrace the Nerd

Foto von Jan Zikán auf Unsplash

Es gibt wohl kaum eine bessere Zeit, um Nerd zu sein. Negativ behaftete Vorurteile kippen scharenweise und es wirkt, als stünde eine ganz neue Welt offen. Vielleicht fühlte sich der Physiker William Higinbotham ähnlich, als er 1958 aus einem Oszilloskop (ein elektronisches Spannungsmessgerät) die erste Videospielkonsole der Welt schuf, um tausenden schaulustigen Menschen einen Einblick in eine andere Welt zu ermöglichen. Zwar war dieses Spiel „nur“ 2D Tennis, doch statt fotorealistischer Grafik forderte es die Fantasie der Spieler. Genau das ist der Clou an Tabletop RPGs und deren gigantische Welten mit schier endlos vielen Möglichkeiten.

Egal, ob Ihr Videospiele zockt, bei Tabletop-Kampagnen mitmacht oder sogar auf LARPs geht – Eskapismus tut gut und kann sogar therapeutisch wirken. Vielleicht animiert dieser Beitrag auch Euch dazu, mal etwas Neues zu probieren. Scham war gestern und der Fantasie sind ja bekanntlich keine Grenzen gesetzt!

Über Thilo (1213 Artikel)
Hi, ich bin der Gründer dieses bekloppten Blogs. Außerdem Realitätsflüchter, Romantiker, Rollenspieler, Gamer, Fantasynerd, Kneipenphilosoph und hochstufiger Spinner. Manchmal jogge oder schwimme ich, doch meistens trinke ich Bier.