Daredevil Season 2 dreht den Bluthahn noch mal kräftig auf
Wie könnt ihr mit eurem liebsten Schatz Romantik mit Blutspritzen und Knochenknacken verbinden?
Ganz einfach, ihr macht es so wie ich vergangenes Wochenende und schaut euch mit eurer besseren Hälfte die zweite Staffel von Daredevil an. Da könnt ihr dann bei jeder Folge so lange Händchen halten, bis der weibliche Part die Hände vor die Augen schlägt oder einen Schwall Verdautes hochwürgt. So hat es zumindest für uns funktioniert. (Results may vary)
Die geniale erste Staffel von Daredevil war in Sachen Gewaltdarstellung ja schon nicht ganz zimperlich, doch die Macher legen in den aktuellen 13 Folgen noch eine große Schippe Gedärme oben drauf. Das liegt in erster Linie daran, dass dem Teufel von Hell’s Kitchen nun 2 weitere düstere Helden zur Hand gehen, die sich ebenfalls nur lebendig fühlen, wenn sie grün und blau geschlagen und von oben bis unten mit Blut besudelt nach Hause kommen: Die scheinbar herzlose Assassine Elektra Nachos, perfekt verkörpert von der Halbkambodschanerin Élodie Yung, und der gnadenlose Punisher, Frank Castle, gespielt von Jon Bernthal, dem nach dem brutalen Mord an seiner Familie auch die letzte Sicherung rausgeflogen ist.
Das Bild dieses sehr stimmigen Casts wird wie gewohnt abgerundet durch die Rollen des witzigen Anwalt-Sidekicks Foggy Nelson und die der smarten Assistentin Karen Page, die immer der sexy True Blood-Vamir für mich bleiben wird. Und Charlie Cox ist als blinder Daredevil, Matt Murdock, der sich mit Gegnern und seinen eigenen Moralvorstellungen gleichermaßen rumschlagen muss, natürlich ohnehin wieder der beste Mann unter der roten Sonnenbrille.
Mir ging es durch die vielschichtigen Charaktere, die alle liebevoll mit ihren Hintergrundgeschichten etabliert werden, wie mit der ersten Staffel von Daredevil: Ich konnte die Serie kaum ausmachen und hätte sie am liebsten als 13-Stunden-Kinofilm inhaliert. Doch Hunger, müde und Pipi zeigen uns glücklicherweise manchmal Grenzen auf.
Besonders der Charakter von Miss Nachios, der mir dank Jennifer Garner im roten Swinger Club Outfit am meisten Sorge bereitet hat, wurde von Élodie Yung zu einem morbide-schönen Erlebnis. Für mich hätte die Rückblende, in der wir einen Blick auf das junge Liebespaar Daredevil und Elektra werfen dürfen, gerne ewig so weiter gehen dürfen. Doch leider rasselte der resultierende Bonnie und Clyde-Lifestyle natürlich ziemlich schnell mit dem „inneren Licht“ des Matt Murdoch zusammen, der daraufhin die Liaison lieber beendet.
Und überhaupt dürfen wir uns als Zuschauer in mitten von Flammen und Haufen von toten Ninjas häufig sehr unangenehme moralische Fragen stellen. Wenn etwas komplexere Marvel-Charaktere wie der Punisher die Bühne betreten und mit einem Kopfschuss dafür sorgen, dass das Verbrechen „keine zweite Chance erhält“, dann fühlen wir uns, abhängig von der Monstrosität der Gegner, zwischen grimmigem Vergnügen und Abscheu hin und her gerissen.
Doch so gut gemacht und spannend diese psychologische Komponente der Serie auch ist, so häufig trifft sie auch auf steinharte Grenzen, die den Genickbruch bedeuten könnten. Denn Daredevils blütenweiße Moralvorstellung – jeder hat eine zweite Chance verdient – ist genauso fadenscheinig und in ihrer Ausführung fahrlässig wie die No Killing Policy von Batman. Wenn der Fledermausmann Knochen bricht und Köpfe mit Anlauf gegen Häuserwände schlägt, dann muss ich mich wohl fragen, wie viele seiner Opfer schon vor Ort oder später im Krankenhaus verbluten. Natürlich wird Bats dann entschuldigend seine verstärkten Kampfhandschuhe heben und beteuern, dass das keine Absicht war. Aber schützt hier die „gute Absicht“? Könnte es vielleicht sein, dass weder Batman noch Daredevil überhaupt auf Leute einschlagen oder sie Treppen hinunter werfen sollten? Sind die beiden so viel weniger gestört als Elektra oder der Punisher?
Fragen über Fragen, die jedoch in der mystischen Musik, der geilen Optik und den spannenden Handgemengen mit (teilweise) übersinnlichen Ninjas verstummen und vom Knirschen meines Popcorns überlagert werden. Ich kann euch beide Staffeln von Daredevil nur wärmstens ans pochende Herz legen, denn ich halte sie für die derzeitig besten Superheldenserien, wenn ihr auf „grim & gritty“ steht. Gerade Fans von Nolans düsterem Batman dürften bei der roten Variante des Rächer-Daseins auch eine ansehnliche Latte bekommen.
Einer der für mich wenigen Schwachpunkte: Die Erwähnung von Jessica Jones. Ich hatte schon fast vergessen, dass die grauenvoll langweilige Ermittlerin mit der Kraft Türen kaputt zu machen ja auch in Hell’s Kitchen zu Hause ist. Doch wenigstens hat, wie ich neulich auf Robots and Dragons lesen durfte, Marvel Entertainment bekannt gegeben, dass die Macher von Daredevil nun auch die Showrunner der Netflix-Serie The Defenders sein werden. Das ist doch mal ein Qualitätsstempel, der mich auf ein tolles Crossover, bzw. eine gelungene Zusammenführung hoffen lässt. Der Regisseur von Jessica Jones darf bestimmt auch dabei sein. Er hängt nämlich, wie der Barde von Asterix und Obelix irgendwo im Hintergrund gefesselt und geknebelt von der Decke. Har.