Filmkritik: Chronicle – Wackelkamera die Vierte

8 von 10 Telekinese-Teens

Zumindest fallen mir jetzt spontan nur 3 andere Filme ein, die sogenanntes „Found-Footage“ mit einem anderen Genre verbinden:

  • Die Fantasy-Mockumentary Troll Hunter (82% bei RottenTomatoes; hier mein Review)
  • Rotz aus der Nase – Zelt – Horror Blair Witch Projekt (85% bei RT)
  • Godzilla-esquer Riesenmonster-Horror Cloverfield (77% bei RT)
  • und nun Teeny-Superhelden Tragikomödie Chronicle (85% bei RT)

Faszinierend, dass nicht einer dieser Filme gefloppt ist. Wie die hohen Bewertungen auf RT zeigen, scheinen die Leute auf diesen Pseudo-Reality-Kram zu stehen. Was natürlich teilweise auch zu verstehen ist. Durch die „shaky cam“ und die POV-Optik hat man das Gefühl mittendrin, statt nur dabei zu sein. Und sofern gute Spezialeffekte am Werk sind, was ja heutzutage durchaus machbar ist, dann sorgt der Gedanke „wow, stell mal vor, das wäre wirklich echtes Filmmaterial“ für einen Schuss mehr Realismus und Gänsehaut. Diese Technik, dem Fantasy-Genre durch ein filmisches Stilmittel eine Tür in unsere Realität zu öffnen, ist schlau und funktioniert. Auch wenn mir Filme, die wie ein guter Roman inszeniert sind, deutlich besser gefallen, ist diese Art von Pseudorealismus-Injektion ab und an eine nette Abwechslung.

Doch was macht nun Chronicle zu einem weiteren gelungenen Eintrag im shake cam-Business? (leichte Spoiler)

Wenn ich sauer bin, zerknüddel ich Autos

Dass man mit Superkräften durchaus auch scheisse bauen kann, weil man ein Alkoholproblem hat und generell einen **** auf die Nöte anderer Menschen gibt, wurde ja bereits im semiprächtigen Hancock visualisiert. Interessanter ist natürlich die Überlegung, was Halbstarke mit Superkräften anstellen würden. Und genau darum dreht sich Chronicle. Der Film gibt uns einen komischen, aber auch verstörenden Einblick in die Welt von minderjährigen Antihelden.

Ich habe mir schon – wie vermutlich jeder irgendwann in der infantilen Phase der Allmachtsfantasien – schon mehr als einmal ausgemalt, wie es wäre, magische oder übermenschliche Kräfte zu besitzen. Wenn man heutzutage darüber nachdenkt, muss man sich eingestehen, dass recht schnell die moralischen Bedenken, die Kräfte für Schabernack oder persönliche Bereicherung zu nutzen, ins Wanken geraten würden. Wieso den guten Jedi spielen, wenn ich mir auch einfach nehmen kann was ich will?

In Chronicle erlebt der Zuschauer genau das mit: Teenager, die sich noch in der Entwicklung ihrer sozialen und geistigen Reife befinden, bekommen durch einen pulsierenden Kristall, der vermutlich aus dem All im Garten eines Freundes gelandet ist, telekinetische Kräfte. Was anfangs noch zum Lachen ist und sich nur darin äußert Legosteine schweben zu lassen, wird im Verlauf der Handlung immer mächtiger, weil es wie ein Muskel trainiert werden kann. Schnell bemerken die 3 Teenager, dass ihnen die Kräfte Türen öffnen, die Normalsterblichen verschlossen bleiben. Und genau hier erscheint der erhobene Zeigefinger des Films: Baut keinen Bockmist in der Erziehung eurer Kinder!

Denn, wie soll es auch anders sein, ist es der introvertierte und gemobbte Andrew, der zu Hause eine kranke Mutter und einen alkoholabhängigen, desillusionierten Vater sitzen hat, der die von den Teenagern selbst etablierten Regeln als erster bricht und mit seinen Kräften außer Kontrolle gerät. An der Stelle wird der Film dramatisch und haut dem Zuschauer die Moralkeule mit voller Wucht auf den Kopf. Macht in den falschen Händen bedeutet immer großes Leid für alle Schwachen. Oder wie hatte es Spiderman wenig subtil indoktriniert? With great power comes what again…?

Ähm … FUCK!

Fazit: Der Film macht einfach Spaß, weil er sich in den Gedankenspielereien suhlt, was man mit Superkräften alles anstellen könnte und was es mit zwischenmenschlichen Beziehungen anstellen würde. Es ist ein teilweise witziger aber auch düsterer Ritt durch kindliche Allmachtsfantasien, der wie alle found footage-Filme einen Tick mehr unter die Haut geht als „normal gedrehte“ Filme.

Trotzdem muss ich mal wieder 2 Punkte abziehen wegen inhärenter und nicht immer perfekt gelöster Probleme dieses Genres. Zum einen finde ich den Grund, warum immer einer bei allen wichtigen Situationen eine Kamera laufen hat, manchmal etwas an den Haaren herbei gezogen. Auch wenn Chronicle mit der Idee, dass der begabteste Telekinist die Cam später einfach immer hinter sich herschweben lässt, eine halbwegs elegante Lösund dafür gefunden hat, rüttelt es doch insgesamt an der Glaubwürdigkeit, die man ja in erster Linie maximieren wollte. Und dann wäre da noch die Darstellung der Jugendlichen und Ihrer Reaktionen auf ihre unvermuteten Kräfte. Mir hat da teilweise ein wenig die Verwunderung gefehlt auf einmal Dinge mit dem Geist bewegen zu können. Trotzdem, wie sagt man so schön, a fun watch!

Über Thilo (1210 Artikel)
Hi, ich bin der Gründer dieses bekloppten Blogs. Außerdem Realitätsflüchter, Romantiker, Rollenspieler, Gamer, Fantasynerd, Kneipenphilosoph und hochstufiger Spinner. Manchmal jogge oder schwimme ich, doch meistens trinke ich Bier.