Das Nerdtum kann nicht zu Ende gehen, weil es nie existiert hat!

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Was soll das sein, ein Nerd? Oder Geek? Das sind doch neuzeitliche Begriffe, die einer Gruppe von Popkultur-Fans übergestülpt wurden. In den 1980er Jahren wurde „Nerd“ benutzt, um Hacker und andere computeraffine Männer zu labeln. Deshalb kommt es auch dieser Tage zu dem für mich vollkommen unverständlichen Bild des Popkultur-Fans, der scheinbar wie ein pickliger ITler mit Riesenbrille aussehen muss. Aber was haben Leute mit Augenschäden, die viel Zeit vor einem Monitor sitzen, mit Fans von Star Trek oder Star Wars zu tun? Genau, [leere Menge]!

Wenn es um Themen geht, die erst in den letzten Jahren zu „Mainstream“ geworden sind, die mich aber schon mein ganzes Leben beschäftigen, dann sehe ich es genauso wie „Oldschooler“ Cirdan: „Den Begriff Geek oder Nerd kannten wir damals noch gar nicht. Wir haben einfach gemacht, was uns Spaß macht.“ (Siehe seinen Beitrag zu „Fake Geeks“)

Ich echauffiere mich an dieser Stelle darüber a) weil ich Blogger bin (it‘s kind of what I do) und b) weil ich diese Diskussionen über Nerdtum, Rise and Fall desselben und die scheinbar immer noch aktuelle Frage, wer sich „Nerd“ nennen darf und wer nicht, so mega überflüssig finde. Eigentlich wollte ich die Debatte ignorieren, doch die folgende Aussage von Wortvogel in seinem Artikel „Das Ende des Nerdtums“ hat mich in Fremdscham erschauern lassen.

Ich wollte einfach ein Genre-Fan sein – und damit ein bisschen was besonderes. Nerd – das war mal ein Abgrenzungsmerkmal. Das war deren Mauer gegen uns und unser Schild gegen sie. Für sie war der Begriff Beleidigung, für uns Orden.

Also, Entschuldigung, aber wer damals seine Hobbys gelebt hat, um was Besonderes zu sein, der ist im Ansatz für mich schon kläglich gescheitert. Deswegen kann ich auch Zeitzeugin Guddys Reaktion darauf nicht beipflichten:

Meist geht es freilich weniger um das Sterben des Nerdtums an sich, als um das Sterben der eigenen Exklusivität. Als Nerd war man vor einigen Jahren noch ein Sonderling, mit den Interessen hob man sich gerne vom gemeinen Pöbel ab. Nun sind Superhelden, Videospiele, einschlägige Serien längst im Mainstream angelangt. Man hat keine Sonderstellung mehr, ist einer unter vielen, statt Teil einer kleinen, exklusiven Gruppe.

NO! Ein echter Fan einer Sache, egal wie man ihn nennt (Nerd, Geek, Nischenliebhaber, Connoisseur, Freak, Experte etc.), hebt sich nicht „gerne vom Pöbel ab.“ Er oder sie frönt einfach einer Leidenschaft und es ist ihr oder ihm völlig LATTE, was andere darüber denken und wie viele Mitglieder der Fanclub hat. Wer sich durch ein bestimmtes Hobby oder ein „Label“ abgrenzen möchte, der ist im Grunde selbst das, was er verurteilt: Fake. (Was Guddy btw. natürlich ungeachtet ihrer Aussage nicht ist)

Weiter echauffiert sich Wortvogel seinerseits mit der für mich sinnlosen Frage:

Wenn ich mit den Jungs zusammen sitze, so wie vorgestern Abend, dann zwiespaltet es schon manchmal in mir. Klar, wir sind Nerds, Altnerds sogar. Aber wieso? Was machen wir, was die ganzen Pseudo- und Softnerds nicht machen? Was qualifiziert uns noch, hebt uns ab?

Ja eben! Wie schon seit jeher: NICHTS! Nur weil Deine heiligen Hobbys durch bessere Computertechnik und Verbreitung über das Internet vom Mainstream entdeckt wurden, heißt das doch nicht, dass nun irgendjemand mehr oder weniger „Nerd“ ist als jemand anderes. Und selbst wenn man hier den Begriff „Nerd“ als eine Art pseudo-einstufbare Wertigkeit gelten lassen möchte, wo ist dann die Grenze?

Ich bin noch nie auf die Idee gekommen jemanden als Pseudo- oder Softnerd zu bezeichnen, nur weil er vielleicht in der Masse weniger „Nerd“-Themen in seinem Leben hat als ich. Es ist ja nicht so, dass jemand eine bestimmte Anzahl von „Nerd“-Themen gut finden muss, um vom Soft-Nerd zum richtigen Nerd aufzusteigen. Es gibt da keinen offiziellen Fragebogen oder eine amtliche Klassifikation zur Ermittlung der Diagnose „Nerd“. Das ist ja auch einfach eine Generations-Frage. Jemand, der heutzutage mit 16 seine Liebe zu Comics oder Rollenspiel entdeckt, der kann im Normalfall nicht wissen, dass Supermann mal nicht fliegen konnte und der wird auch mit dem furchtbaren ETW0 (bzw.THAC0) nichts anfangen können. Wieso sollten nur Menschen ein Recht dazu haben als „Vollblut-Nerds“ zu gelten, die das fragwürdige Glück hatten zu Zeiten der Fantasy-Dürre geboren worden zu sein?

Und „Dürre“ ist in diesem Zusammenhang auch der springende Punkt! Früher war nicht alles besser. Das, mit Verlaub, ist ihre nostalgisch-verklärte und romantisierte Sicht der damaligen Zeit, Herr Wortvogel. Passiert mir ja auch häufiger, no offense! Aber da laufen meine und die Gleise der Zeitzeugin glücklicherweise wieder zusammen, denn wir denken, dass die heutige Zeit ein Wunderland für Fantasy-Fans ist.

Früher war es doch fast schon kacke ein Scifi- und/oder Fantasy-Fan zu sein. Die Filme konnten fernab des Mainstreams mit ihren Effekten noch niemanden vom Hocker hauen und Spiele waren Augenkrebs. Natürlich erinnern wir uns gerne an diese Zeiten. Damals war alles magisch! Aber auch deswegen, weil es nichts anderes gab! Und gerade auch weil alles so „trashig“ war, gab es weniger Fans als heutzutage. Wenn man damals satanische Spiele wie Magic the Gathering oder AD&D spielen wollte, musste man seinen seltsamen Fetisch in zwielichtigen Untergrundschuppen wie Comicläden oder in privaten Räumlichkeiten ausleben. Nur mittlerweile hat eben die halbe Menschheit bemerkt, dass sie auch auf „den Scheiss“ steht und wir können uns unseren „Fix“ an jeder Straßenecke holen. Und das ist doch super!

zonengabyDamals haben wir uns doch nichts sehnlicher gewünscht, als dass Fantasy mehr in den Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit rutscht und endlich mal jemand richtig Geld in die Hand nimmt, um wirklich Qualität in einem unserer liebsten Hobbys abzuliefern. Oder möchte an dieser Stelle jemand diskutieren, ob der Zeichentrickfilm oder Peter Jacksons Version vom Herrn der Ringe den höheren Unterhaltungswert für „Nerds“ hat? Dass ich so eine ersehnte Mainstream-Bewegung in MEINEM Fetisch-Thema erleben durfte, macht mich einfach nur dankbar, aber nicht verbittert. Und dass das Thema nun kommerziell bedient wird und auch einige eher unwürdige Trittbrettfahrer auf den Plan ruft, ist für mich ein annehmbares Opfer dafür in einer glorreichen Welt des Fantasy-Überflusses zu leben, in der ich mir selbst die leckersten Kirschen rauspicken kann. Sich an der Stelle über den Mainstream zu muckieren wäre so, als würde eine überforderte Zonen-Gaby die Übersichtlichkeit eines DDR-Supermarkts zurück fordern.

Ich weiß wirklich nicht, wo Herr Wortvogel das Problem sieht, wenn er etwas schreibt wie:

Wo Superheldenfilme einst holperige pubertäre Fluchtphantasien waren, sind sie nun sorgfältig austarierte Mega-Spektakel für die ganze Familie.

Also erstens sind Superheldenfilme nach wie vor holperige, pubertäre Fluchtphantasien, da das Kern und Motivation des gesamten Genres ist, und zweitens, sind sorgfältig austarierte Mega-Spektakel für die ganze Familie an welcher Stelle nachteilig für den Konsumenten?

Ok, aber um jetzt nicht weiter auf der validen Meinung eines anderen „Oldschool Nerds“ (wenn es sowas gibt) wie der von Herrn Wortvogel rum zu trampeln, möchte ich anmerken, dass ich ein gewisses Unbehagen bei Betrachtung dieser „Mainstreamisierung“ durchaus im Kern nachempfinden kann. Ich erinnere mich noch genau an die Schulzeit, als wir in heroischen Mittelerde-Fantasien schwelgten und uns fest vornahmen uns eines Tages den einen Ring aus Gold schmieden zu lassen. Hätte nur mal rechtzeitig die Kohle für so ein Vorhaben gestimmt. Denn nachdem Jacksons erster HdR-Film die Massen in Entzücken versetzt hatte, und jeder Dreikäsehoch plötzlich mit dem einen Ring aus Plastik, Silber, Gold oder Platin um den Hals herum lief, löste sich unser Wunsch in Luft auf.

Ja, ich gebe zu, dass uns das Merchandising einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Plötzlich hatte es seinen Reiz verloren, den einen Ring als geheimes Erkennungsmerkmal unter Tolkien-Fans zu tragen. Aber dieser Stolz und der Wunsch nach Exklusivität bezog sich nicht auf „Nerdtum an sich“, sondern lediglich auf unsere Bibel, denn Herrn der Ringe. Aber nur weil Tolkiens Werk nun im „Mainstream“ angekommen ist, würde ich nicht aufhören ein Fan zu sein. Und ich bilde mir auch nicht ein, ein „echterer“ Nerd zu sein, weil ich den Herr der Ringe schon 5 mal gelesen hatte, bevor ihn die jüngere Generation das erste Mal im Kino gesehen hat.

Ich finde, was vermeintliche „Fake Nerds oder Geeks“ anbelangt, sollten Fantasy Fans ein dickes Fell haben. Wenn ein Mädel mit Fake Nerd-Brille aus Plastik behauptet sie sei Star Wars Fan, weil sie diesen „Mr. Spuck“ so süß findet, dann lächle ich mitfühlend, aber mehr nicht. Ich erinnere mich noch genau an meine Zeit als Biker. Da kam es auch in Mode mit Motorradjacken rumzulaufen. Ich habe dann häufiger mal irgendwo geparkt und so Typen angesprochen: „Geil Mann, was fährste für’n Bock? Hä, ich hab kein Motorrad ich fand nur die Jacke so cool…“

Natürlich wird es immer Trittbrettfahrer, begleitende Modeerscheinungen und Pappnasen geben, wenn irgendwas im Mainstream ankommt. Doch ich finde, dass das Luxusprobleme sind und ich wehre mich nach wie vor gegen Labels jeglicher Art. Niemand kann mehr oder weniger „Nerd“ sein, weil bereits jeder, der irgendeine Art von Hobby hat, ein „Nerd“ ist. Und kein Eintrittsdatum oder Quantitäts- oder Qualitäts-Merkmale stempeln zu irgendeiner Abstufung von Soft-, Medium oder Hardcore-Nerd. Macht doch einfach alle euer Ding und freut euch, wenn andere sich plötzlich auch für euer Nischenthema begeistern können. Das hat im Zweifelsfall auf lange Sicht nur Vorteile. Und alles andere ist für mich pure Arroganz.

Haha, ich höre schon, wie sich jetzt Leute das Maul zerreißen, weil ich behaupte, dass es sowas wie Nerds gar nicht gibt, aber gleichzeitig einen Blog schreibe mit dem Namen NERD WIKI. Tja, was soll ich sagen, ihr habt mich enttarnt. Ich habe bei der Auswahl der Domain den Zeitgeist beachtet und markenbewusst meine Botschaft an dieses Label verhurt. Könnte ich es noch ändern, dann würde ich diesen Blog lieber auf fantasyblog.de oder etwas Coolem wie brennendetentakel.de wohnen lassen. Aber der Zug ist jetzt abgefahren.

Über Thilo (1200 Artikel)
Hi, ich bin der Gründer dieses bekloppten Blogs. Außerdem Realitätsflüchter, Romantiker, Rollenspieler, Gamer, Fantasynerd, Kneipenphilosoph und hochstufiger Spinner. Manchmal jogge oder schwimme ich, doch meistens trinke ich Bier.