Europäischer Langschwert-Kampf: Weil ein Shinai beim Kendo einfach nicht schmerzhaft genug ist
Noch zu Studienzeiten bin ich für über 2 Jahre mit einem Rock rum gelaufen. Nicht was ihr jetzt denkt. Das Ding nannte sich Hakama und war Teil der traditionellen Bekleidung eines Kendo-Kämpfers. Samurai, das alte Japan und Tee-Zeremonien hatten mich schon immer begeistert, also schien es nur logisch einen Sport zu wählen, bei dem man sich gegenseitig anschreit und dem Gegner ein Bambusschwert auf den Kopf haut. Ich musste jedoch sehr bald lernen, dass so ein Kampf, 1 gegen 1, mit das Anstrengendste ist, was man so machen kann. Bei meinen ersten Kämpfen in voller Rüstung hätte ich vor Erschöpfung fast durch die Sehschlitze meines Helms gekotzt. Aber es war trotzdem eine tolle Zeit. Zu Trainingsbeginn verbeugte man sich ehrfürchtig vor dem Dojo, bevor man es betrat. Dann wurde kurz mit allen zusammen meditiert, um die Welt und alle Probleme vor der Halle zu lassen. Ich weiß noch genau, dass ich zu dieser Zeit unglaublich ausgeglichen war. Die Kombination von harter, körperlicher Ertüchtigung, mit der man so wunderbar Stress abbauen konnte, und die Philosophie von Respekt, Disziplin und Kampfgeist, auch außerhalb der Trainingshalle, hat in dieser Zeit sicherlich einen besseren Menschen aus mir gemacht.
Allerdings bedeutete Kendo auch Schmerz. Unabhängig vom teilweise fast zermürbenden Drill der Suburi (Schlagübungen) vor den eigentlichen Kämpfen, bedeuteten schlecht gezielte Schläge während des Ji-geiko (freier Kampf) sich am nächsten Tag als grün und blau gefleckter Leopard vor dem Spiegel zu bewundern. Nicht wirklich schlimm, aber dennoch der klare Beweis, dass Kendo eine Vollkontaktsportart ist. Natürlich gibt es nur Punkte, wenn die durch Rüstungen geschützten Trefferflächen getroffen werden. Doch leider hat man ja nicht immer einen begabten Schwertkämpfer vor sich. Bei einem Turnier hat mich auch schon mal ein 5.Dan grün und blau nach Hause geschickt. Der hätte es eigentlich besser drauf haben müssen.
Und obwohl Kendo ein durchdachter Turniersport ist und Rüstungen und Shinai (Bambusschwerter) benutzt werden, kann es zu Unfällen kommen. Dies ist auch der Grund, warum von der Kendo-kämpfenden Welt immer noch jedes Jahr das Dr.-Goto-Gedächtnisturnier ausgerichtet wird. Dem armen Dr. Goto ist ein gesplittertes Shinai durch die Sehschlitze, ins Auge und bis ins Hirn gestochen worden. Aua. Deshalb wurden wir vom Trainer auch immer besonders schlimm zur Schnecke gemacht, wenn wir unsere Waffe nicht sorgsam genug zusammengesetzt und gepflegt hatten.
Auf diesem Hintergrund musste ich gerade ein wenig ungläubig meinen Kopf schütteln, als ich auf io9.com las, dass in den Badass-USA schon seit Jahren im Rahmen der sogenannten „Historical European Martial Arts“ die europäische Variante des Langschwert-Kampfes als vollwertiger Sport praktiziert wird. Unter dem Begriff „German Longsword“ hacken zwei Schwertkämpfer mit echten Stahlschwertern auf sich ein und tragen dabei eine halb improvisierte Rüstung, die optisch zumindest der Kendo-Rüstung ähnelt.
Ein Bambusschwert auf eine weniger oder sogar gänzlich ungeschützte Körperstelle geschlagen zu bekommen, war für mich eigentlich schon „interessant“ genug. Ich frage mich, was beim „German Longsword“ so an schmerzhaften Erfahrungen gemacht werden kann. Ich meine, die Schwerter sind zwar stumpf, aber trotzdem immerhin noch aus Stahl. Wenn ich mir meine Sammlung von stumpfen Filmschwert-Repliken so anschaue, bin ich mir sicher, dass man damit jemand immer noch ohne Probleme „einen Kopf kürzer machen kann“.
Und auch, wenn mich die Thematik als Fantasy-, Mittelalter- und Schwerter-Fan, natürlich brennend interessiert, würde ich das jetzt einfach mal als zu gefährlich für mich einstufen. Vielleicht werde ich auch alt, aber der Gedanke versehentlich mit meiner Kehle in eine zwar Stumpfe, aber doch präsente Spitze eines Schwerts hinein zu laufen, erfüllt mich gerade mit einer gesunden Skepsis. Vielleicht sollte man diese dem Kendo gegenüber weniger ausgereifte Sportart lieber mit Latex-Schwertern ausüben? Das wäre dann sowas wie LARP advanced, mit einem Punktesystem, welches aus den Duell-Regeln des Mittelalters entwickelt wurde… *hust*
Schaut euch mal selbst das Video an und entscheidet, ob ihr demnächst vielleicht auch hier in Deutschland eure liebsten Szenen aus Highlander nachkämpfen wollt. Ich sehe da schon irgendwie ein höheres Verletzungs-Potenzial als beim Kendo…