Matrix 4 – Resurrections ist für die richtigen Leute brillant

© Warner Brothers

8 von 10 selbstgeschaffenen Realitäten

Ja, brillant, und was anderes erwarte ich auch nicht von einem Matrix-Film.

Zunächst hegte ich ja die Befürchtung, dass Matrix Resurrections, wie der Name suggeriert, nur das Aufwärmen einer alten Geschichte um des lieben Zasters Willen ist.

Und lustiger Weise ist das sogar der Fall. Aber auf eine äußerst intelligente Weise. Und damit meine ich nicht (nur) die offensichtliche Kritik an Hollywoods Remake- und Reboot-Maschinerie, die uns, scheinbar ideenlos, immer und immer wieder dieselben Geschichten auftischt.

All die “cleveren” Journalisten, die sich dafür auf die Schulter klopfen diese Systemkritik in Matrix 4 erkannt zu haben, kratzen gerade mal an der Oberfläche der vielen Bedeutungsebenen, die sich hier mal wieder dem aufmerksamen Zuschauer offenbaren können.

Als HARDCORE-Matrix-Fan habe ich, bei aller Bescheidenheit, vermutlich schon mehr entdeckt, als der 0815-Actionfan und Matrix 2 und 3-Leugner. Ich habe da gestern wie ein meditierender, für alles offene und dennoch reflektierender Zen-Meister gesessen und jede Szene aufmerksam in Echtzeit seziert. Doch selbst ich muss den Film noch mindestens ein oder zweimal sehen, um dieses saftige Stück philosophischen Cyberpunks (für mich) ausreichend ausgewrungen zu haben. Und ich kann es nicht abwarten.

Um nichts zu spoilern, werde ich mein Review in zwei Teile aufspalten: Den spoilerfreien Eindruck und mein spoilertriefendes Fazit.

Matrix 4: Mein spoilerfreier Eindruck

© Warner Brothers

Gleich mal eins vorweg. Alle, die jetzt heulen, Matrix 4 wäre ja nur ein Reboot, Remake, nichts Besonderes, sollten sich zunächst eine Sache verdeutlichen:

Es war zwar finanziell berechnend (was an sich nichts Verwerfliches ist), aber auch unglaublich mutig von Lana Wachowski nach all den Jahren nochmal in die Matrix zurückzukehren. Denn damit hatte sie sich eine unmögliche Aufgabe gestellt: Ziehe gleich oder übertrumpfe ein Meisterwerk.

Merkt ihr was? Das ist per Definition schon unmöglich.

Wenn man an der Spitze von etwas angekommen ist, führt der einzige verbleibende Weg nach unten. Oder um die Zen-Weisheit zu bemühen: Bist du in etwas der Meister geworden, musst du sofort in einer neuen Disziplin ein Schüler werden.

Sprich, ein so selbstreferenzielles und zwinkerndes Remake des eigenen Films zu präsentieren ist mutig. Diese Prämisse aber auch noch so intelligent zu instrumentalisieren ist bemerkenswert.

Hinzu kommen zwei weitere Fußfesseln mit denen Matrix 4 zu kämpfen hat.

Matrix 1 war in zweierlei Hinsicht Offenbarung und Kulturschock:

  1. Der Film konnte seine cyberpunkige Prämisse mit neuer bahnbrechender Technik untermalen, die für offene Münder gesorgt hat: Bullet Time. Doch diese ist in Matrix 4 nichts Besonderes mehr. Und leider gibt es außer State of the Art-CGI auch keine neue Technik, die uns die Kinnladen zu Boden krachen lassen könnte.
  2. Für viele war Matrix eine kleine Erleuchtung. Die Welt ist nur in unseren Köpfen? Unsere Welt könnte simuliert sein und wir würden es noch nicht mal merken? Doch die fieseste Matrix ist die menschliche Gesellschaft, die uns vorschreibt wie wir zu denken und zu leben haben? Wow… das ging unter die Haut. Sowas ist natürlich nicht wiederholbar.

Doch Matrix schlägt sich trotz etablierter Welt und Mythologie erstaunlich gut, verwendet Dagewesenes in neuem Gewand und führt die Welt logisch fort.

Dass es diesmal weniger um die menschliche Revolution, sondern im Kern mehr um eine Liebesgeschichte geht, ist vollkommen in Ordnung. Letztlich waren Gefühle, Liebe und Aufopferung für andere ja auch schon ein zentrales Thema bei Matrix 1-3.

Zudem hat mir Matrix Resurrections – mal abgesehen von allen Bedeutungsebenen – einfach optisch gut gefallen. Wunderschöne Bilder erzählen die nächste Version der Matrix stimmig weiter und lassen mich in warmen Gefühlen der Nostalgie schwelgen.

Pure Berechnung Von Lana Wachowski.

Sie lässt es einen Charakter sogar sagen. Doch genau das ist für die Energieproduktion der Matrix-Bewohner äußerst förderlich. Moment, rede ich jetzt noch vom Film oder von unserer Welt? Tja…

Mir hat es einfach verdammt viel Spaß gemacht nochmal in die Welt von Matrix einzutauchen und verschiedene Elemente aus allen drei Teilen präsentiert zu bekommen.

Letztlich fehlten für mich nur etwas die erinnerungswürdigen Szenen in der Action. Wobei, da gab es schon ein paar, gerade gegen Ende, die ich aber hier noch nicht spoilern will. Doch das Kung-Fu aus Matrix 1, der Kampf gegen die Agent Smith-Armee aus Matrix 2 oder die Maschinenkämpfe und der “Dragonball-Kampf” aus Matrix 3 waren einfach sehr erinnerungswürdig – sowas fehlt in Matrix 4 irgendwie.

Dafür sind solche Kandidaten fürs Langzeitgedächtnis eher subtil in Matrix 4. Da gibt es schon Kram, der jedoch nicht so spektakulär ist wie die NEO-Superman-Auserwählten-Action. Was jedoch auch einen ziemlich triftigen Grund hat.

Letztlich ziehe ich darum einen Punkt ab.

Und einen Punkt, weil 9 von 10 noch zu nah an den 10 von 10 des Meisterwerks Matrix 1 dran wären.

Aber Matrix 4 ist nichtsdestoweniger ein geiler Film.

Wer was anderes sagt hat ihn vermutlich nicht verstanden. Oder zumindest zu oberflächlich betrachtet.

Das meine ich ernst.

Und damit kommen wir zu…

Matrix 4: Mein spoilertriefendes Fazit

© Warner Brothers

Jetzt kommen HARTE SPOILER! Ich habe gewarnt.

Matrix 4 wird besser, umso tiefer ein Zuschauer in den Kaninchenbau eindringt.

Oder umgekehrt: Umso weiter er sich vom “Kern” entfernt und zur anfangs erwähnten obersten, offensichtlichsten Schicht treibt, desto schlechter und als reines Reboot wird er den Film empfinden.

Denn die Sache mit dem Remake und der Kritik an der Geldmaschine Hollywood, oder konkreter, Warner Brothers (hehe), ist wirklich nur die Oberfläche.

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich könnte Romane über die Bedeutungsebenen schreiben. Doch wer für die jeweilige Ebene noch nicht bereit ist, dem wird sie sich auch nicht offenbaren. Wie heißt es so schön? Wenn der Schüler bereit ist, erscheint der Lehrer.

Allein die Tatsache, dass Neo als Spieleentwickler und Schöpfer der Matrix-Trilogie in die nächste Matrix eingesetzt wurde, ist so geil und vielschichtig.

Hat es die Geschehnisse von Matrix 1-3 vielleicht nie gegeben und Mr. Anderson hat sein eigenes Spiel nur durch eine Psychose in die Wirklichkeit geholt? Oder haben die Maschinen die Matrix mit Absicht als spielbares Spiel in der Matrix offenbart, weil nichts irgendwo besser versteckt ist als in “PLAIN SIGHT”? Wer würde die Matrix jetzt noch für real halten, wenn sie ein Stück Entertainment und Popkultur ist? Hmmmmm… Verhindern vielleicht sogar die Matrixfilme, dass ihr jemals glauben könntet selbst in einer zu leben? Geiler Mindfuck.

Und wie genial ich es finde, wie Anderson/Neo selbst Leute in sein Spiel programmiert, die ihn aufsuchen, um ihn aus der Matrix aufzuwecken. Er könnte es selber machen, aber er kann sich aus eigener Kraft nicht die Erlaubnis dafür geben. Das ist ein unglaublich tiefes Kernthema von Spiritualität. Ich kann nicht aufwachen, nein, ich brauche einen Lehrer, der mich prüft, mich für würdig erachtet und mir dann “die Tür zeigt”. Und dass, obwohl ich mich doch schon für die rote Pille entschieden habe, bevor sie mir überhaupt vor die Nase gehalten wurde…

Und die ganze Spieldesigner-Kiste in Zusammenhang mit der Deja-vu-Thematik zeigt so herrlich, wie wir uns alle im übertragenen Sinne unsere eigenen Welten bauen. Jeden Tag aufs Neue. Weit weg von der Wahrheit, bauen wir uns unsere Luftschlösser, die wir für real halten. Weil wir das wollen oder durch unsere “Programmierung” nicht anders können.

In diesem Zusammenhang ist der Hinweis des neuen Morpheus über das tägliche Schlucken der blauen Pille soviel mehr, als ein Hinweis auf die Macht der Gewohnheit, geistige Lethargie und gesellschaftliche Konditionierung. Was er da sagt, trieft vor buddhistischer Mystik. In jeder “Inkarnation” (Spawn in Computersprache), in der wir nicht die rote Pille, sprich “das Erwachen” wählen, spielen wir weiter das selbstgewählte Spiel, auf dem Rad der Wiedergeburten vor uns hinzuleben. Ausbruch aus “Samsara” ist nur möglich durch das “Schlucken” und Verdauen der Wahrheit: der roten Pille der Erleuchtung.

Apropos.

Dann ist da natürlich die Ebene für Trans-Personen. All diese Spiegel, die uns ein Bild zeigen, das nicht unbedingt dem entspricht, wie wir uns im Inneren fühlen, bietet sich natürlich perfekt dafür an.

Doch wer jetzt nur an “bei Geburt zugewiesenes Geschlecht” denkt (von wem eigentlich zugewiesen?) und die Selbstwahrnehmung, die davon abweichen kann, ist noch nicht mal mit den Zehenspitzen in den Kaninchenbau eingedrungen.

Wenn wir im Film immer mal wieder die Spiegelbilder von Trinity oder Neo sehen, die nicht dem entsprechen, wie sie sich selbst sehen, dann ist allein das einen eigenen Aufsatz wert. Wie sehe ich mich? Wie sehen andere mich? Und gibt es überhaupt einen “Avatar”, der akkurat darstellt wer ich bin? Das geht so weit über Geschlecht und Identität hinaus. Wer ist das, der sich da selbst im Spiegel erkennt?

In gewisser Weise hat mir Matrix 4 gezeigt, dass ich mich seit Matrix 1 extrem gewandelt bzw. weiterentwickelt habe. Ich habe Matrix eingeholt, wenn nicht überholt. Ich brauche Matrix nicht mehr, um wie Neo aufzuwachen. Man könnte auch sagen, Matrix braucht mich nicht mehr.

Oder um bei buddhistischen Bildern zu bleiben: Wenn du mit einem Floß erfolgreich über einen Fluss gefahren bist, dann lässt du das Floß am anderen Ufer liegen und nimmst es nicht mit dir…

Der Artikel ist schon viel zu lang geworden. Ich komme mal zum Ende.

Wer Matrix 4 nicht gut fand, sollte ihn vielleicht nochmal schauen. Und dann vielleicht nochmal. Da gibt es definitiv ne Menge zu entdecken und viele geistige Türen, die sich öffnen könnten.

Oder seht Matrix 4 nur als lames Remake, das sich selbst auf den Arm nimmt.

Rote Pille oder blaue Pille?

Eure Entscheidung.

Über Thilo (1210 Artikel)
Hi, ich bin der Gründer dieses bekloppten Blogs. Außerdem Realitätsflüchter, Romantiker, Rollenspieler, Gamer, Fantasynerd, Kneipenphilosoph und hochstufiger Spinner. Manchmal jogge oder schwimme ich, doch meistens trinke ich Bier.