Netflix-Empfehlung: Midnight Mass

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Wow.

Midnight Mass ist eine dieser Serien, die niemand auf dem Schirm hatte (ok, zumindest ich nicht), und die einen mit ruhigen Bildern und tiefer Atmosphäre in Zeitlupe vom Hocker wirft. Ein absoluter Geheimtipp. Zumindest, wenn man auf düstere Gruselserien steht.

Interessanter Weise hält Midnight Mass mit seinen Mysterien nicht lange hinter dem Berg. Gerade Word of Darkness-Spieler, werden sich recht schnell einen Reim auf alles Übersinnliche machen können.

Doch das tut der Serie keinen Abbruch.

Das Setting des Fischerdörfchens auf einer winzigen Insel trieft nur so vor Atmosphäre.

In einem winzigen Nest, in dem jeder jeden kennt und täglich über den Weg läuft, sind zwischenmenschliche Beziehungen einfach direkter und schonungsloser.

Auf dieser Grundlage entfalten sich die Geschichten der einzelnen Charaktere langsam und intensiv. Und wenn am Ende der über siebenstündigen Miniserie die reinigende Klimax über den Bildschirm flimmert, kennen wir unsere “Pappenheimer” ganz genau.

Es ist einfach perfekter Stoff für eine Horrorserie, wie der aufkeimende religiöse Fanatismus menschliche Abgründe offenbart. Die Selbstgerechtigkeit einiger Charaktere bringt uns als Zuschauer schnell zum Würgen und offenbart die Schattenseite von Religion ungeschminkt und brachial.

Allzu fieberhafte Anhänger des Glaubens könnten vielleicht sogar Anstoß nehmen an der Art, wie Drehbuchschreiber und Regisseur Mike Flanagan hier “aus dem Vollen” schöpft.

Dabei verarbeitet er, laut eigener Aussagen, vor allem seine eigenen ganz persönlichen Erfahrungen mit Religion, Priestern und Messen seit frühester Kindheit. Flanagan fand schon immer verstörend, wie schnell Religionen, die angeblich auf Liebe basieren, in ihr Gegenteil umschlagen und Exklusionismus, Tribalismus, Fanatismus und Fundamentalismus erzeugen können.

Dass die Bibel, insbesondere das alte Testament, vollgestopft ist mit Horrorelementen, ist ja kein Geheimnis. Furchtbare Plagen, mordende Engel und ein zorniger Gott boten für Drehbuchschreiber schon immer einen reichhaltigen Fundus an Gruselthemen.

Ich bin fast neidisch auf die simple Idee, die Mike Flanagans Midnight Mass zu Grunde liegt. Atmosphäre und Spannung dieser Grundprämisse sind perfekt für die Ravenloft-Sandbox eines “verfluchten Dorfes”. Ein perfekter Halloween One Shot.

Vorsicht, wer die Serie noch nicht gesehen hat, denn jetzt kommt der…

Midnight Mass Spoiler Talk!

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Manchmal befürchte ich, dass ich meine spirituelle Weltsicht den Lesern meiner Romane zu brutal um die Ohren haue.

Doch dann erlebe ich, wie Regisseur Mike Flanagan im Finale von Midnight Mass mit der spirituellen Haubitze der Wahrheit +5 auf den Zuschauer ballert und bin beruhigt: manch ein Bodhisattva packt eben gerne die grobe Keule aus.

Ich muss sagen, dass ich von Midnight Mass sehr geflasht war. Wenn ich jeden Abend auf die nächsten Folgen einer Serie zu fiebere (über 7h am Stück wollten dann doch aufgeteilt werden…), dann versteht jemand das Handwerk des visuellen Geschichtenerzählens verdammt gut.

Gerade, wenn man auf den Vampirmythos steht, stechen nur wenige Serien wirklich aus der Masse hervor. Die jüngste Dracula-Serie auf Netflix war auch so eine unverhoffte Perle.

Aber apropos Vampire.

Ich fand es verblüffend, wenn nicht sogar verstörend bis unlogisch, dass keiner der Akteure von Midnight Mass jemals das Wort Vampir oder Vampirismus in den Mund genommen hat.

Ich meine, klar, mir ist bewusst, dass der Regisseur auf dem Thema des dunklen Engels, dem religiösen Wahn und dem “Blut Christi” herumreiten wollte.

Doch bei Blutdurst, Sonnenempfindlichkeit und einem RIESIGEN FLEDERMAUSMANN nur von einer “Blutanomalie” oder einer “Seuche” zu sprechen, kommt mir doch etwas absurd vor.

Ich meine, spielt das in einem Paralleluniversum, in dem das Wort “Vampir” nicht existiert? Wieso kommt es keinem der Dorfbewohner jemals über die Lippen? Nicht ein einziges Mal?

“Oh, unser Pastor sitzt mit blutverschmiertem Mund an der Wand, während eine Blutspur zu der Leiche unseres Kumpels führt. Außerdem fängt er neuerdings an zu qualmen, wenn er durch einen Sonnenstrahl gehen möchte. Hm, seltsam. Was könnte das bedeuten? Ich denke mal, es kann nur heißen, dass Jesus zurückgekommen ist.”

Aber ok, im Kontext der Serie soll der religiöse Fanatismus eben alles überschatten. Insbesondere die Hasszielscheibe des Zuschauers, Bev Keane (brillant gespielt von Samantha Sloyan), ist ja grandios darin, sich selbst die furchtbarsten Gräueltaten durch entsprechende okkulte Bibelpassagen schön zu reden. Ein wenig unlogisch mutet das komplette Ausblenden des Offensichtlichen aber doch an.

Hinzu kommt noch eine kleine “Ungenauigkeit”, die am Ende der letzten Folge nicht hätte sein müssen:

“Ich spüre meine Beine nicht mehr.”

Was für ein Quatsch.

Es wurde etabliert, dass das Vampirblut krankes oder beschädigtes Gewebe dazu animiert wieder zu heilen. Nur, weil der Untotensaft plötzlich aus dem Körper verdampft ist, macht es ja bereits geschehene Änderungen nicht rückgängig. Sonst müssten ja auch durch das Vampirblut geheilte Wunden wieder aufreißen etc.

Das war in Hinsicht auf alles, was in der Popkultur als “Blutmagie” etabliert wurde, nicht unbedingt gut durchdacht und hinterließ eine winzigen faden Beigeschmack. Es wäre doch, als Kontrast, auch viel schöner gewesen, wenn wenigstens einige der Dorfbewohner etwas Positives aus der ganzen übernatürlichen Dunkelheit zurückbehalten hätten. Auch als Fingerzeig, dass Religion zwar meist quatsch, die Welt deswegen aber noch lange nicht weniger magisch ist…

Doch trotz dieser kleinen Abturner gehört Midnight Mass für mich zu den besten Horror- bzw. Vampirserien, die bisher gemacht wurden.

Über Thilo (1210 Artikel)
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