Netflix‘ She-Ra ist LGBTQ-Leuchtfeuer und gleichzeitig so viel mehr

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Als ich noch ein neunmalkluger Dreikäsehoch war, fingen erfolgreiche Tage für mich mit Zeichentrickserien und Coco Pops an. Während ich süße Knusperpampe in mich hinein löffelte, schwangen He-Man und die Thundercats magische Schwerter, während die Saber Riders und Marshall Bravestarr alles Böse mit großen Kanonen aus dem Äther ballerten.

Ziemlich maskuline Fantasien wurden da ausgelebt, wenn ich jetzt so darüber nachdenke. Kein Wunder eigentlich, dass ich fast aus meinen Benjamin Blümchen-Socken kippte, als eines Tages diese blonde Amazone ihr Schwert erhob, die Ehre von Grayskull anrief und sich funkensprühend in eine knallharte Super-Walküre verwandelte. Mein Löffel muss scheppernd in die Schüssel gefallen sein, mein Schlafanzug mit weißen Milchtropfen vollgespritzt…

Natürlich sah ich die wohlgerundete Kriegerin damals noch mit den unschuldigen und höchstens milde erotisierten Augen eines Heranwachsenden. Doch selbst in diesem zarten Alter war ich schon überaus verwundert, mit welchen Tonnen von Schneid diese Dame namens She-Ra hier plötzlich auftreten durfte. Das war eine kleine Sensation: Eine Frau, die nicht nur wusste was sie wollte, sondern auch noch die Macht besaß es umzusetzen. Allerdings habe ich das altersbedingt mehr gespürt als gedacht.

Leider war die Ermächtigung des Weiblichen von den Produzenten nicht im Geringsten geplant. She-Ra war lediglich die weibliche Version von He-Man; geschaffen, um auch ein weibliches Publikum mit Spielzeug versorgen zu können. Adora stellt sich im Intro der Serie als He-Mans Zwillingsschwester vor und unterstreicht damit eigentlich nur, dass Eva aus der Rippe des Adam geschaffen und damit zweitrangig sein soll. Aber der Albernheit nicht genug, ist nur He-Man am Ende seines Zauberspruches würdig „die Macht zu haben“, während She-Ra gerade mal ihren Namen nennen darf: „I AM SHEEEEE-RAAAAA!“

Trotzdem war ich von She-Ra tief beeindruckt; dieser Frau, die häufig ihre Intelligenz einsetzte, um Probleme aus der Welt zu schaffen, während He-Man lieber seine Fäuste sprechen ließ. Es war im Masters of the Universe-Intro vielleicht kein Zufall, dass der magische Topfschnitt mit den Worten „…und ich wurde He-Man, der mächtigste Mann des Universums“ seine Faust in die Kamera schlug. Hirn aus, Phallus-Faust in Kamera. America, fuck yeah!

She-Ra ist endlich kein reiner He-Man-Klon mehr

Und genau hier setzt die neue She-Ra-Serie von Netflix an. Endlich darf die Krieger-Prinzessin auf ihren eigenen Disko-Boots stehen. Dass sie irgendwas mit He-Man zu tun haben könnte wird höchstens durch die gelegentliche Erwähnung von Eternia angedeutet.

Die Schöpferin der Serie, Noelle Stevenson, hat mit der neuen She-Ra etwas geschaffen, was sich zwar an ein jüngeres Publikum richtet, aber gleichzeitig inhaltlich viel reifer ist.

Das coming of age-Abenteuer der jungen Adora, die der Gehirnwäsche der Horde entkommt und über ein magisches Regenbogenschwert ihre Bestimmung findet, trieft nur so vor feministischer Kraft, ohne dabei jedoch gegen die Männer zu giften.

Im Gegenteil: Adora ist verletzlich, lange nicht perfekt und braucht auch gelegentlich Hilfe. Doch wenn sie es dann endlich schafft ihre innere Stärke zu beschwören und sich in She-Ra verwandeln, dann kann – für mich persönlich – die alte She-Ra fast einpacken. Ich liebe die neue Verwandlung und finde sie passt perfekt zum restlichen Stil der Serie.

She-ra and the Princesses of Power - Transformation Sequence

Wenn dieser Blitz purer Determination in ihren Augen aufleuchtet und sie ihre flammende Faust in ihre Handfläche schlägt, dann läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Wahrer Heldenmut im Angesicht der Dunkelheit ist einfach immer inspirierend und bewegend, vollkommen egal im Mantel welchen Geschlechts oder welcher Rasse.

Und genau das ist auch der Grundpfeiler der Serie: Konsequente Repräsentation von Diversität in allen Gesinnungen, Körperformen und –Farben. Doch Noelle Stevenson lässt diese Spannbreite ganz natürlich und mühelos erscheinen. Im Kontrast dazu wirken nun eher die „Glamazons“ und die Waschbrettbauch-Ritter der Vintage She-Ra-Serie künstlich und albern.

Wenn wir nur mal die beiden wichtigsten Gefährten von She-Ra, Glimmer und Bow, mit den Vintage-Versionen vergleichen, wird wohl klar was ich meine:

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Und überhaupt steht einem jugendlichen Bow ein Herz auf der Brust weit besser zu Gesicht. Welcher erwachsene Mann kontrastiert sein bleiches Gesicht bitte freiwillig mit einem knallroten Herz auf der Brust? Außerdem hat die vollschlanke Glimmer auch tausend Mal mehr Charakter und wirkt in der Serie nahbarer und sympathischer als „Glamazon 3, Farbpalette lila“.

Doch nicht nur optisch tänzelt die Serie auf allen Farben des Regenbogens. Viele transgender- und gleichgeschlechtliche Szenen werden ebenso natürlich und verspielt in der Serie untergebracht, ohne konstruiert und gezwungen zu wirken. Ob nun Catra in einem schnittigen Anzug zum Tanz bittet oder She-Ra und Glimmer zusammen in der Badewanne chillen – es fügt sich natürlich ein.

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Den Füchsen unter den Zuschauern wird auch nicht entgangen sein, dass Gleichberechtigung und Mächteverteilung auch schon im Titel deutlich werden. Da ist aus She-Ra Princess of Power klammheimlich der Plural She-Ra and the Princesses of Power geworden. Und ich muss sagen, ich mag die Botschaft sehr: In jedem Mädchen steckt eine She-Ra, nur nicht für jede ist das Schwert das Mittel der Wahl.

Soll She-Ra Männern zeigen wo der Hammer hängt?

Doch wie zu erwarten hat eine kleine Handvoll kleinkariert und engstirnig denkender Menschen an der ganzen LGBTQ-Sache Anstoß genommen.

Achtung SPOILER ab hier!

Da gab es doch tatsächlich Leute, die der „LGBTQ-Regenbogen“ im Finale gestört hat, weil die männlichen Charaktere darin keine Farbe hatten.

Oh Mann, chill people.

In einer Serie für Mädchen bzw. Kinder allgemein, ist der Regenbogen natürlich auch ein Symbol für das Feminine, repräsentiert durch die Prinzessinnen. Klar haben Männer keine Farbe in diesem Regenbogen. Es soll ja um die Prinzessinnen und ihre Kräfte gehen.

Das heißt ja aber im Umkehrschluss nicht, dass Männer deswegen unwichtig sind oder keine Macht haben. Man könnte vielleicht sagen, Männer, in ihrer oft eher rationalen Ausrichtung in Denken und Handeln sind Licht und Schatten, sprich schwarzweiß. In Yin und Yang-Verhältnissen gesprochen, sind Frauen die Emotion zur Ratio, das Runde zum Eckigen, die Farbe zum Schwarzweiß der Männer.

Wenn man es denn überhaupt so wasserdicht in Schubladen packen möchte, was natürlich an sich schon quatsch ist. Wir leben ja in einer Zeit, in der sich Männer ihrer femininen Seite bewusst werden und Frauen auch mal maskulin auftreten dürfen.

Wichtig ist bei all dem doch nur nicht zu vergessen, dass beides GLEICH wichtig ist. Licht und Schatten wäre langweilig ohne Farbe, aber auch die Farbe gäbe es ohne Licht und Schatten nicht. Aber ich muss nicht wirklich die fundamentalste Grundlage unserer Realität erklären, oder? Kein Licht ohne Schatten. Kein außen ohne innen. Kein männlich ohne weiblich. Und all das auch umgekehrt.

Ich wünsche mir in Politik und Kultur eigentlich nur eins: Gegenseitige Wertschätzung. Nicht die Ermächtigung des einen über das andere.

Gesprochen von einem jungen Vater, der in seiner Vaterzeit am Ende eines Tages mehr geschafft war, als nach jedem vorherigen Arbeitstag. Nur mal so als ein winziges Beispiel für mangelnde Gleichberechtigung, wenn es darum geht, wer mehr leistet: Ein Vater, der die Brötchen verdient oder eine Mutter, die die Kinder hütet. Die Antwort ist echt leicht: Wenn der Mann nicht gerade unter Peitschenhieben in einer Miene Steine kloppt, leistet die Frau meistens deutlich mehr. Das bisschen Haushalt macht sich eben nicht allein. Sry, für den kurzen Exkurs.

Und ich finde, She-Ra macht es im Gegensatz zu furchtbar verunglückten Ansätzen wie The Last Jedi richtig: Es zeigt die Harmonie der beiden Prinzipien. Die Frauen dominieren in der Serie nicht auf dem Rücken der Männer oder durch deren Entmachtung, sondern im Einklang mit Ihnen oder auch mal aus eigener Kraft. Ohne Bow z.B. wären einige Szenen für alle beteiligten Frauen nicht glimpflich ausgegangen. Und auch der sehr queer wirkende Sea Hawk hat mit seiner Herangehensweise der brennenden Schiffe seinen Platz.

Die neue She-Ra ist das Kind von Sailermoon und Star Wars

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Aber jetzt habe ich mich wirklich genug darüber ausgelassen, wie man Gleichberechtigung als gut geschriebene Grundlage einer Serie verwenden kann, ohne einfach nur ein Häkchen bei „Gender and Race“ zu setzen.

Ich muss zugeben, dass ich die Serie wirklich sehr mag. Noelle Stevenson ist ganz offensichtlich großer Fan von Sailermoon und Star Wars, wovon ich letztere Leidenschaft immerhin teile.

Besonders die Basis der wilden Horde und Hordak, die Fright Zone, erinnerte mich stellenweise sehr an den Todesstern. Überhaupt bietet die Fright Zone mit ihren industriellen Themen, den Maschinen und der Atmosphäre von emotionsloser Ordnung und Kontrolle einen schönen Gegensatz zum lebendigen Wald um das malerische Bright Moon. In dem Palast wäre ich auch gerne mal mit ein paar Prinzessinnen eingeschlossen…

Doch besonders die Charaktere haben es mir angetan. Mit Humor und nachvollziehbaren Motiven ist es selbst auf der Seite der Horde schwer gegen jemanden wahre Antipathie aufzubauen. Besonders die tragische Catra und ihre Beziehung zu Adora wandeln sehr schön zwischen Licht und Schatten, bis She-Ra endlich den Mut findet „loszulassen“.

Überhaupt sind die meisten Charaktere der Serie lebende Grauzonen. Allen voran, mein absoluter Favorit, Entrapta, die ich in Dungeons & Dragons absolut „chaotisch neutral“ nennen würde. Die durchgeknallte Tüftlerin mit ihren lebenden Medusa-Haaren, interessiert sich nur für Erfindungen und Fortschritt, ganz gleich, auf welcher Seite sie steht. Auch bei den Gesinnungen finde ich die Repräsentationsspannbreite beachtlich. Vermutlich fühlen sich deshalb auch erwachsene Nerds, wie ich, von der neuen She-Ra so angesprochen.

Die Serie ist sicherlich nicht perfekt und einige Folgen waren spannender als andere. Doch insgesamt habe ich die neue She-Ra in mein Herz geschlossen. Und das sagt jemand, der im Vorfeld gedacht hat, dass er zu testosterongeflutet sei, um eine jugendliche She-Ra ohne enormen Vorbau gut finden zu können. Hut ab.

Über Thilo (1200 Artikel)
Hi, ich bin der Gründer dieses bekloppten Blogs. Außerdem Realitätsflüchter, Romantiker, Rollenspieler, Gamer, Fantasynerd, Kneipenphilosoph und hochstufiger Spinner. Manchmal jogge oder schwimme ich, doch meistens trinke ich Bier.