TeneT – Du bist mir auch so eine temporale Zange!
6 von 10 Paradoxa
“James Bond auf Acid” hieß es irgendwo.
Das beschreibt den Film ganz gut. Doch was für den einen auf Acid ein großer Spaß ist, stellt sich für einen anderen als Horrortrip heraus.
Bin mir immer noch nicht komplett sicher, was ich von Tenet halten soll.
Vielleicht beginne ich mal mit ein paar erfreulichen Fakten, die nicht die geistige Gesundheit bedrohen.
John David Washington ist als „Der Protagonist“ ein sehr solider „schwarzer Bond“, Robert Pattinson als Neil ebenfalls brauchbar (auch wenn ich ihn endlich in Batman sehen möchte), Elizabeth Debicki wunderbar gequält als Kat und Kenneth Branagh wirklich geil als verstörend dämonischer Ehemann und Waffenhändler Andrei Sator.
Der treibende und böllernde Soundtrack von Ludwig Göransson (diesmal nicht Hans Zimmer) untermal die Actionszenen – gerade unter Dolby Atmos – perfekt und trägt die Spannung mit.
Die Drehorte sind international und verstärken damit den „James Bond“-Eindruck.
Nun aber ans Eingemachte! Man reiche mir die „temporale Zange“!
Die Prämisse von Tenet ist Christopher Nolan-typisch ein heftiger Mindfuck, der es mitunter schwer macht der Handlung zu folgen. Viel ist schon dem Trailer zu entnehmen, doch wer ein jungfräuliches Hirn gemindfucked haben will, sollte jetzt lieber aufhören zu lesen. Auch wenn ich alle größeren Spoiler umschiffen werde.
So… Minor Spoilers ahead!
Da wäre also die Annahme, dass Gegenstände durch eine Technik aus der Zukunft „invertiert“ werden können. Das bedeutet, dass ihre Entropie andersrum verläuft als die normaler Gegenstände. Sie verhalten sich innerhalb der Zeit „rückwärts“. Invertierte Munition kann z.B. nicht abgeschossen, sondern muss durch eine passende Pistole „aufgefangen“ werden.
So weit, so gut und ich war gespannt wie dieses Konzept im Verlauf des Films extrapoliert werden würde. Doch dabei blieb es natürlich nicht: Klar können auch Personen invertiert werden, die sich dann gegen den normalen Zeitfluss in die Vergangenheit bewegen. Et voila, wir haben Zeitreisen, die unsere Hirne mit den üblichen Paradoxa zu penetrieren versuchen.
Herr Nolan windet sich innerhalb der Handlung mehr oder weniger geschickt aus zu vielen Kopfschmerzen heraus, indem er Pattinsons Charakter dem Protagonisten erklären lässt, was das Großvater-Paradoxon ist, warum es sein könnte, dass dieses durch Paralleluniversen ausgehebelt wird und welche Rolle dabei Bewusstsein spielt – gefolgt von der Frage, ob ihm schon sein Kopf weh täte?
Ich habe die Szene fast wie eine Aufforderung von Christopher Nolan verstanden, mein Hirn auszuschalten und einfach das groteske Spektakel zu genießen.
Und das ist es allemal! Wenn vorwärts und rückwärts laufende Personen und Handlungsstränge gleichzeitig auf dem Bildschirm um die Oberhand kämpfen, hat das schon eine sehr hypnotische und faszinierende Wirkung.
Allerdings übertreibt es Nolan für meinen Geschmack im letzten Teil des Films ein wenig damit. Hier wäre weniger vielleicht mehr gewesen. Auch im Sinne von weniger verwirrend. Denn nicht-linear zu denken, ist bei einem zweieinhalbstündigen Film zehrender als man denkt…
Tenet ist einer dieser Filme, die man eigentlich zigmal gucken müsste, um alle kleinen Gimmicks zu entdecken und irgendwo in die Nähe von „Verstehen“ zu kommen. Wobei dieser Punkt der Erleuchtung irgendwo am Ereignishorizont des Films ohnehin verloren gehen dürfte.
Und da kommen wir auch zu meinem größten Kritikpunkt an Tenet.
Er ist einfach nicht „schön“ genug. Trotz aller optischer Imposanz ist er mir optisch nicht imposant genug. Ja, passender Weise ein Paradoxon, wie der ganze Film.
Er baut sich recht gemächlich in der ersten Hälfte auf, bevor die „temporale Zange“ so richtig zugreift. Und dann wird er gegen Ende so anstrengend, dass ich ihn einfach gar kein zweites Mal sehen möchte.
Insofern ranked Tenet für mich trotz des größeren Mindfucks hinter Interstellar und definitiv hinter dem genialen Inception, die beide einfach auf anderen (optischen) Ebenen noch unterhaltsamer waren.
Hinzu kommt, dass ich die Beweggründe „der Leute aus der Zukunft“ NULL nachvollziehen konnte. Ob das Großvater-Paradoxon nun greift oder nicht, sie hätten nichts gewonnen. Was das heißt, müsst ihr selbst rausfinden.
Am Ende fragt der Protagonist seinen Freund und Kollegen Neil, ob nicht ohnehin alles schon von Anfang an feststand und ob es denn keinen freien Willen gäbe. Aber auch diese Frage wurde schon vor sehr langer Zeit in Matrix beantwortet. Und nein, es ist nicht deprimierend, dass es de facto eigentlich sowas wie freien Willen nicht gibt. Denn da alles subjektiv wahrgenommen wird, ist die Illusion eines freien Willens im Prinzip genauso gut bzw. gleichbedeutend mit „echtem freien Willen“, was auch immer das sein soll…
Da hätte Herr Nolan mal seine Hausaufgaben machen sollen. Haha.
Aber nochmal als Fazit zu Tenet
Trotz der Kritikpunkte: Tenet sollte man sich auf jeden Fall einmal im Kino ansehen, um sich an der Optik, den Mindfucks und den Aha-Momenten zu erfreuen.
Wiederschauwert wie bei einem Matrix oder Inception fällt jedoch eher gering aus. Zu steril, emotionslos und wiederholend ist mir dafür die Action. Das denkt zumindest Thilo. Und, ich denke, auch seine invertierte Variante.