The Northman ist das Destillat aller Wikingergeschichten

© Universal Pictures

9 von 10 brennenden Rachegelüsten

Wieviel Brutalität, Wikinger-Mystik und schöne Landschaftsaufnahmen lassen sich eigentlich um eine simple Rachegeschichte weben?

The Northman: Ja.

Was Regisseur Robert Eggers hier basierend auf der Legende des Fürstensohn Amleth geschaffen hat, ist so roh, blutig und Mystik-durchdrungen, dass es fast wirkt wie eine Masturbationsfantasie über alles, was man(n) mit Wikingern in Verbindung bringt: Knallharter Überlebenskampf, blutige Fehden, Wölfe, Raben, Nornen, Götter, Runen, Magie, Saufen und ein würdiger Tod im Kampf, um in Walhalla all das bis in Ewigkeit weiter zu erleben… (wait what? That’s what they actually wanted???)

Ein wenig fragte ich mich nach dem dritten Bier, ob Eggers nicht einfach das Wikinger-Survival-Game Valheim verfilmt hat. Denn beim Spielen beschlichen mich ganz ähnliche Gefühle: Was zerfickt mich zuerst? Das Wetter? Die Monster? Oder einfach mein ständiger Hunger?

Also, falls das bis hierin noch nicht glasklar sein sollte:

The Northman ist nicht mit einer Mainstream-Verarbeitung des Wikingerstoffes wie Vikings zu vergleichen.

Durch seine Erzählstruktur, die an alte germanische Heldenlieder erinnert, seine traumartige Bildsprache und die Destillierung all dessen, was Leute mit Wikingern verbinden, würde ich den Film schon fast in die Arthouse-Ecke schieben.

Das werden einige hassen und andere lieben.

Durch das Review eines guten Freundes wusste ich glücklicherweise schon worauf ich mich einlasse und konnte mir das Dargebotene, von herbem Bier durchmischt, auf der Zunge zergehen lassen.

Denn wie immer kommt es auf die Geisteshaltung an: Müll oder Meisterwerk?

Wenn Bilder von der dreckigen Urgewalt eines Conan der Barbar getragen werden von Dialogen, die an den richtigen Stellen poetisch und Pathos-triefend sind, wie bei einer Shakespeare-Aufführung im Theater, dann ist es dem Barbaren-liebenden Anglisten in mir ein Freudenschnitzel!

Ich kann euch nur raten, allein dem Staraufgebot des Films eine Chance zu geben.

© Universal Pictures

Für mich war es eine morbide Augenweide einen blutbespritzten Alexander Skarsgård wie einen Wolf heulen zu sehen. (In meiner Fantasie ist The Northman ohnehin einfach die Vorgeschichte zum Vampir Eric Northman aus True Blood…)

Wunderbar anzuschauen war auch Anya Taylor-Joy (mir bekannt aus Das Damengambit). Von keiner anderen blonden Walküre würde ich mich in der Gischt eines fast kenternden Schiffes aus glänzenden Augen anfunkeln lassen wollen.

Wen habe ich noch entdeckt? Nicole Kidman, Ethan Hawke, Willem Dafoe… und irgendwo soll sogar Björk versteckt gewesen sein. Ja, die Sängerin. Von damals. Vor 3000 Jahren.

Also, ich könnte jetzt meine ganzen Lieblingsszenen auflisten.

Oder ich spoilere euch nicht und ihr brennt euch den Film selbst auf die Netzhaut.

Im Grunde ist dies ein blutiger Wikinger-Arthouse-Film über die magische Macht von Worten, die bei abergläubischen Wikingern schon mal zu fiesen selbsterfüllenden Prophezeiungen werden können…

Fans von Island, Futhark-Runen und dröhnendem Kehlkopfgesang werden an The Northman definitiv ihre helle Freude haben. Und wer dem Film keine Chance gibt, dem möchte ich zärtlich mit auf den Weg geben:

Diese Untat möge deine lebenden Nächte heimsuchen, bis die flammende Rache sich an deinem Tod verzehrt!

Über Thilo (1200 Artikel)
Hi, ich bin der Gründer dieses bekloppten Blogs. Außerdem Realitätsflüchter, Romantiker, Rollenspieler, Gamer, Fantasynerd, Kneipenphilosoph und hochstufiger Spinner. Manchmal jogge oder schwimme ich, doch meistens trinke ich Bier.