Pillars of Eternity ist gut aber kein Baldurs Gate 3
Vor über 2 Jahren schien für Baldurs Gate-Jünger ein Traum wahr geworden zu sein. Obsidian Entertainment sammelte über Kickstarter einen passablen Haufen Geld ein, um mit „Projekt Eternity“ eine Art „Baldurs Gate 3 im Geiste“ zu erschaffen. Die Fans der legendären Iso-RPGs hatten schon lange der „guten alten Zeit“ mit Icewinddale, Planescape Torment oder der Baldurs Gate-Reihe nachgetrauert. Nun schien ein Revival der pausierbaren Kämpfe und epischen Geschichten gekommen zu sein. Seit ein paar Tagen befindet sich Pillars of Eternity nun auch auf meiner Festplatte und ich bin hin und her gerissen. Trotz opulenter Grafik, heroischer Musik und einer allgemeinen Vertrautheit, die sofort nostalgische Gefühle entfacht, bin ich dennoch wenig euphorisch. Woran das liegt, könnt ihr selbst aus der folgenden Pro- und Contra-Liste extrahieren, die ich hier jetzt mal runter hacke.
PRO:
- „Die Säulen der Ewigkeit“ fühlt sich wirklich authentisch wie eins der guten alten Infinity Engine-Games an. Es macht sofort wieder Spaß mit bis zu 6 Charakteren gleichzeitig durch das Unterholz zu brechen und Monster aus den Socken zu hauen.
- Die Charaktere, die ihr auf euren Reisen aufsammeln könnt, scheinen interessant zu sein und sorgen mit ihren Dialogen für Atmosphäre. Sehr gut gelungen sind auch die Dialoge mit NSCs, in denen eure anfängliche Rassen- und Klassenwahl, sowie eure Attribute interessante Dialogoptionen freischalten können. Wenn ihr z.B. Paladin seid und auch noch einen bestimmten Orden dazu gewählt habt, kann das im Spiel einzigartige Gesprächsoptionen eröffnen.
- Die Charaktererschaffung ist ebenfalls gewohnt gut für diese Art vom RPG. Die Zeit verfliegt wie im Flug, während ihr euren Charakter zusammen bastelt und mit den richtigen Werten, Zaubersprüchen, Skills, Unterklassen, Anzahl der Bartstoppel etc. ausstattet.
- Schusswaffen! Da ihr euch in Eora befindet, einer Fantasy-Welt, die technologisch an das europäische Mittelalter und die frühe Renaissancezeit angelehnt ist, dürfen neben Feuerbällen auch Schrottsalven aus Gewehren abgefeuert werden. Einige der größeren Musketen haben eine nervig-lange Nachladezeit, machen bei einem Treffer dafür jedoch beachtlichen Schaden. Es ist einfach witzig, wenn ab und an ein Knall aus der zweiten Reihe ertönt und ein Gegnervieh steif vorn überfällt.
- Wie in Neverwinter Nights 2 (die Idee stammt ursprünglich aber aus Baldur’s Gate 2) dürft ihr wieder eine Burg erobern und dann renovieren und erweitern. Dadurch werden neue Quest-Möglichkeiten, Händler und andere Interaktionsmöglichkeiten freigeschaltet. Genial ist die Idee mit den „Endlosen Pfaden“! Ganz im Stil von Waterdeep und seinem „Undermountain“ dürft ihr über die Verließebene eures Schlosses in einen Mega Dungeon hinab steigen und euch mit Erfahrungspunkten und mächtiger Ausrüstung für die Aufgaben der Oberwelt abhärten.
- Apropos Aufgaben der Oberwelt: Die Gegner in Pillars of Eternity leveln nicht mit eurem Heldentrupp mit. Das bedeutet, dass das Spiel selbst auf einfachen Schwierigkeitsstufen ARSCH-schwer ist und ihr bei einigen Begegnungen in der Wildnis „erst noch mal leveln gehen und später wieder kommen müsst.“ Diesen nicht-linearen Aufbau der Welt sehe ich jedoch als positiv und herausfordernd an. Erinnert an schöne Moment in Gothic 1 „Ich biege mal hier links in die Wildnis ab. Oh, was ist das denn für ein großes …. ARGL.“
- Zwar unlogisch, aber äußerst praktisch ist der „Cheater Stash“, wie ich ihn nenne. Eure Truppe hat nämlich eine Kiste dabei, in der unendlich viele Gegenstände gelagert werden können. Vorbei die Zeiten, in denen ihr aus Platzmangel im Inventar zur nächstgelegenen Stadt zurückreisen musstet, um endlich die 80 rostigen Goblin-Schwerter zu verticken.
CONTRA:
- Die Musik ist heroisch. Yep. Ich meine auch einen Schuss Hobbit-Flöten darin auszumachen. Aber irgendwie fehlt was. Wenn ich Baldurs Gate oder jedes andere RPG „from the days of yonder“ anmache, habe ich in Sekunden vor lauter Pathos Gänsehaut am ganzen Körper. Pillars of Eternity schafft das irgendwie nicht. Zu süßlich-belanglos dudelt die Hobbit-artige Mucke dahin. Ja, es ist mystisch und zauberhaft und so. Vielleicht fehlen mir einfach die Pauken und Trompeten.
- TOO MUCH INFORMATION! Natürlich gehörte zu den „Baldurs Gate Games“ auch immer eine ordentliche Portion zu lesender Texte. Besonders bei Planescape Toment schraubte sich der Lesestoff in einigen Dialogen in ungeahnte Höhen. Doch es hat mir nie etwas ausgemacht. Bei Pillars jedoch nervt es mich schon fast. Das liegt in erster Linie an der Story und einer damit verbundenen Spielmechanik. Ich spoilere hoffentlich nicht zu viel, wenn ich sage, dass euer Hauptcharakter gleich zu Beginn des Spiels die Fähigkeit erlernt die Seelen anderer Lebewesen zu lesen und so ihre Vergangenheit zu erkunden. Das führt leider dazu, dass ihr euch mit den meisten NSCs gar nicht normal unterhalten, sondern jedes Mal nur kleine Romane über ihre Vergangenheit lesen könnt. Nach den ersten 2 oder 3 Kurzgeschichten dieser Art, habe ich alle weiteren immer weggeklickt. Das wäre ja so, als würde ich bei Baldurs Gate jedes Buch in jeder Bibliothek im Spiel durchlesen. Das ist dann einfach zu viel des Guten. Der Drang nach spannenden Echtzeit-Kämpfen und echten Charakter-Dialogen ist dann doch zu stark.
- Einerseits gibt es einen mystischen Stash, in dem unendlich viel Kram gelagert werden kann, damit ihr nicht ständig in eine Stadt reisen müsst, um all den Plunder abzuladen. Aber auf der anderen Seite dürft ihr in Dungeons nur 4 Mal eure „Camping Supplies“ auspacken, um eure Kräfte aufzufrischen. In die Stadt zurück reisen zu müssen, weil alle auf dem Zahnfleisch gehen, ist natürlich VIEL weniger nervig! Da hat mir in früheren Spielen die Möglichkeit unendlich oft zu rasten, dafür mit der Chance auf „Wandernde Monster“, deutlich besser gefallen.
- Tränke und Zauber dürfen nur im Kampf aktiviert werden. Was übel ist, weil die Kämpfe echt schwer genug sind. Die Gegner haben häufig Resistenzen gegen eine Schadensart, so dass ihr häufig zwischen z.B. stumpfen und scharfen Hiebwaffen hin und her wechseln müsst, was allerdings durch mehrere Waffenslots problemlos geht. Trotzdem ist es mega nervig, wenn man selbst kleinste Schutzzauber von Priestern z.B. nicht vor einer Konfrontation einschalten darf, sondern erst, wenn der gegnerische Krieger nur noch eine Nasenlänge entfernt ist.
- Für mich persönlich das schwerwiegendste CONTRA: Es ist einfach nicht Dungeons & Dragons. Ja, die Welt ist ganz nett ausgedacht, und alle Rassen und Klassen machen irgendwie Sinn, doch meiner Spielfreude hat es einen argen Dämpfer verpasst. Alle Klassiker der „Baldurs Gate-Ära“ beruhten auf irgendeinem System von D&D. Irgendwie ist es komisch, wenn ihr in PoE Zauber verwendet, die exakt gleich aussehen und funktionieren, aber statt Magisches Geschoss eben Minoletta’s Minor Missiles heißen. Oder könnt ihr euch vorstellen welche Rolle der „Aumaua Chanter“ in meiner Gruppe erfüllt? Seht ihr, ich auch nicht. Das ist ein seltsamer Typ mit Gewehr, der manchmal singt wie ein Barde … ka. Außerdem hat mir die Verbindung zu den Roman-Welten damals immer sehr viel Freude bereitet. Berühmte Landstriche, die Fans schon aus Büchern oder Pen & Paper-Modulen kannten, im Spiel realisiert zu sehen, war immer der gewisse Extra-Kick. Genauso wie der Spaß Elminster zu treffen oder Drizzt zu looten. Aber vielleicht muss ich das Game auch erst mal ganz durchgespielt haben, um ein finales Urteil über die Welt fällen zu können. Es ist nur einfach so, dass ich mir der Art und Optik des Spiels einfach die D&D-Orte und Personen verbinde.
Da ich erst ein Dittel bis maximal die Hälfte ca. gespielt habe, kann ich hier noch keine Wertung des Spiels abgeben. Ich denke, Fans der Klassiker werden mit Pillars of Eternity nichts falsch machen und für mindestens 40 Stunden (so schnell angeblich der schnellste Speedrun bisher) gut unterhalten werden. Aber für Oldschool-D&D-Hardcore-Fans wie mich wird es dennoch nur eine Hommage bleiben, aber lange nicht an das Original heranreichen, geschweige denn, es übertreffen können.