The Witcher ist grandiose Fantasy mit leichten Schwächen

Ein Supermann der Schwerter: The Witcher © Netflix

Ich bin erkältet und mein Kopf fühlt sich an, als hätte Geralt versucht mir mit dem Aard-Zeichen die Haare zu glätten.

Trotzdem wollte ich ein paar Worte zu Netflix‘ The Witcher verlieren. Ich habe jetzt alle 8 Folgen durch und kann die kontroversen Meinungen über die Serie durchaus nachvollziehen.

Viele machen jedoch den Fehler und haben Hochglanz-Fantasy der Marke Game of Thrones erwartet, die ja schon durch die Literaturvorlage unmöglich wird. Der Wiedźmin spielt durch den Willen seines polnischen Schöpfers Andrzej Sapkowski in einer slawisch geprägten Mittelalterwelt, in der Magie und Märchen so alltäglich sind, wie Ahnungslose und Trolle auf Facebook. Das Grundkonzept ist märchenhafter, düsterer, mittelalterlicher und einfach anders.

Natürlich war im Vorfeld allerorts zu lesen, dass der Hexer das Game of Thrones von Netflix wird, was sich jedoch nie auf den Inhalt, sondern lediglich den Stück vom Fantasy-Kuchen bezog, den sich der Streaming-Dienst abschneiden wollte; sicherlich in der Hoffnung zumindest ähnlich ertragreich zu werden.

Die Aard-Rune in meiner Frisur nötigt mich an dieser Stelle mich im Folgenden einfach auf ein paar Pros und Cons der Serie zu konzentrieren.

Was mir aufgestoßen, aber nicht wirklich negativ in Erinnerung geblieben ist:

Die Zauberinnen

Triss… hmmmpf © Netflix

Sie werden von Sapkowski als wirklich überirdisch schön beschrieben. Eben weil sie das machen, was jeder mit magischen Kräften tun würde: Sich unwiderstehlich machen. Sind die Zauberinnen alle unwiderstehlich? Weit davon entfernt. Selbst Triss und Yennefer finde ich zwar nicht hässlich, aber weit von dem entfernt, worüber Sapkowski regelrecht Lieder gesungen hat. Da haben die Computerspiele, die ja in Zusammenarbeit mit dem Autor entstanden sind, einen besseren Job gemacht. Yen und Triss sind sicher nicht schlecht und ich hatte mich am Ende der Staffel an sie gewöhnt, aber keine „magischen“ Schönheiten. Zumindest Triss hätte man die rote Mähne aus den Computerspielen gönnen sollen. Denn die digitalen Figuren sind, nach Sapkowskis eigener Aussage, perfekt getroffen. Yen wird eigentlich nur durch ebenmäßige Züge und ihre lila Augen zu Yen. Den Zauber suche ich noch… aber ja, eigentlich kein diskutabler Punkt, da es hier auch auf Geschmack ankommt.

Kulissen

Einige hatten sich beklagt die Serie sähe geradezu „billig“ aus. Das kann ich nur im Direktvergleich mit Game of Thrones nachvollziehen. Da man, um den Büchern gerecht zu werden, vor allem Polnische Schlösser und ungarische Wälder als Drehorte genutzt und recht simple Mittelalterbehausungen und Zelte bemüht hat, kann der Eindruck entstehen, dass hier „gespart“ wurde. Letztlich ist es aber in erster Linie der Welt geschuldet. Hätte die eine oder andere Hütte vielleicht ein paar mehr Requisiten etc. haben können? Ja, vermutlich, aber es stört nicht kolossal, sondern trägt für mich sogar zum Gesamtbild bei.

Zeitlinien und Märchen

Wer die Bücher, einschließlich der Kurzgeschichten-Bände, nicht gelesen hat, konnte vielleicht durch eine gewisse Durchmischung von Hauptstory und Märchenanleihen aus den Kurzgeschichten etwas durcheinander kommen. Die parallele Erzählstruktur von aktueller Handlung und vorangegangenen Ereignissen darf auch als ungeschickt bezeichnet werden. Besonders gut daran zu erkennen, wenn in Folge 7 zig Szenen doppelt gezeigt werden müssen, wenn sich die beiden Zeitlinien endlich treffen. Das hätte man sicherlich auch weniger verwirrend hinbekommen können.

Rittersporn und “Toss a Coin to Your Witcher”

Den Barden fand ich tatsächlich als Nervensäge von Troubadix-Format sehr passend und unterhaltsam. Auch wenn ich aus den Büchern in Erinnerung habe, dass Geralt und Rittersporn eigentlich schon immer best buddies waren und sich der Barde nicht erst die Gunst des Hexers erkämpfen musste.

Der Ohrwurm, den Rittersporn recht früh zum Besten gibt, zerreißt mich. Einerseits wirkt er, gerade wenn er sich mit der Musik der Serie zu einer Einheit verbindet, wie ein Disney-Song, bei dem nur noch singende Tiere gefehlt hätten, andererseits ist es ein echter Ohrwurm und gefällt mir jedes Mal besser, wenn ich ihn auf YT noch mal anhöre. Puh.

Die Dialoge

Etwas vermisst habe ich Sapkowskis genial geschriebene Dialoge, die immer den perfekten Spagat zwischen philosophischer Tiefe und schwarzem Humor gemeistert haben. Geralt hochfrequent „scheiße“ sagen zu lassen, gibt auch noch nicht ganz das mittelalterliche Spektrum wieder, das die Bücher bieten. Die Dialoge wirken leider ab und an etwas flach und der Humor beinahe platt. Beides ist in den Büchern ganz und gar nicht der Fall. Trotzdem war es im Gros akzeptabel und hat ja doch irgendwie einen guten Job gemacht, wenn ich grinsen musste.

Fazit der ersten Staffel von The Witcher:

Eine schöne, düstere Fantasy-Serie mit einem wirklich tollen Hexer. Hätte im Vorfeld nicht gedacht, dass es Henry Cavill in jeder Hinsicht so gut zu Gesicht stehen würde. Auch seine Schwert-Skills sind durchaus vorzeigbar. Natürlich nicht immer vollkommen mit der Realität eines echten Schwertkampfes vereinbar, aber trotzdem vermittelten sie mir sehr gut den Eindruck, dass der Mutant einfach schneller und besser war, als gewöhnliche Kämpfer. Job well done! Denn im Zeitalter von sinnentleerten Lichtschwertkämpfen wie bei Last Jedi (Dance Moves ins Leere und braves Abwarten bis der Gegner auch abwehren kann…) bin ich für eine halbwegs nachvollziehbare und passende Choreografie schon sehr dankbar.

Auch das Finale mit dem Kampf der Magier und wie sich Geralt und das Löwenjunge von Cintra das erste Mal in den Armen liegen, haben Lust auf Mehr gemacht. Glücklicherweise ist die zweite Staffel bereits in der Mache und ich kann es nicht abwarten die letzten fehlenden Plätze in der „D&D-Heldentruppe“ um Geralt zu sehen, besonders Milva und Regis.

Ich hoffe nur, dass man von nun ab keine mysteriösen Zeitsprünge mehr machen oder zumindest besser erklären wird. Aber bis 2021 ist ja genug Zeit für eine Steigerung. Buhuuuu, noch so lange.

Über Thilo (1210 Artikel)
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