Warum D&D Waterdeep Dragon Heist eine Mogelpackung ist

Waterdeep Drachenraub zu deutsch. © Wizards of the Coast.

Es ist nicht alles Drachengold was glänzt.

Die 5th Edition hat Dungeons & Dragons zu einer Art zweitem goldenen Zeitalter verholfen. Mit seiner leichten Zugänglichkeit und Vereinfachung der Regeln hat es scheinbar über Nacht die Schallmauer durchbrochen. Plötzlich zockt die halbe Welt D&D und sogar Stars und Sternchen bekennen sich zu einem nerdigen Hobby, für das man in den 80ern manchmal noch belächelt wurde.

Vielleicht sind es gerade die über 40 Jahre Erfahrung der Macher, die mich, nach Höhen und Tiefen des Produkts, nun wirklich gut durchdachte Kaufabenteuer erwarten lassen. Doch D&D Waterdeep Dragon Heist (Deutsches Buch: Waterdeep Drachenraub) war in dieser Hinsicht eher eine Enttäuschung.

Normalerweise verreiße ich hier im Blog kaum etwas. Ich schreibe nur positive Rezensionen, um meinen Lesern Anreize für neue positive Erfahrungen zu geben. Doch hin und wieder lohnt es sich andere zu warnen. Besonders, weil mittlerweile doch zahlreiche offizielle 5th Edition-Kaufabenteuer erschienen sind und in Empfehlungen Dragon Heist meist unter den Top 5 rangiert. Und ich frage mich warum?

Bei mir wären es eher die Bottom 5. Wenn nicht sogar noch eine Kerkerebene tiefer.

Here is why.

Das Buch ist in 4 Jahreszeiten eingeteilt, von denen sich der Spielleiter eine aussuchen muss. Im Frühling ist der Hauptschurke des Abenteuers der Verbrecherfürst und Betrachter Xanathar. Im Sommer heizt den Helden eine Familie von teufelsanbetenden Adeligen ein. Im Herbst kommt Schurke Jarlaxle aus Luskan angesegelt, um seinen Einflussbereich auf Tiefwasser auszudehnen. Und im Winter möchte der Magier Manshoon seine kalten Griffel ins Spiel bringen.

Also, so nett diese Wahl von Jahreszeit und Oberschurken auch ist, so viertelt sie das Abenteuer auch faktisch in 4 Teile. Und ich kenne niemanden, gerade in meiner Altersklasse, der dasselbe Abenteuer mehr als einmal spielt, auch nicht mit leichten Veränderungen. Dazu fehlen Zeit und unterschiedliche Gruppen.

Aber das ist ja noch nicht alles.

Ein großer Teil des Buches dient auch der Beschreibung von Tiefwasser, seinen NPCs, seiner Verwaltung, seinen Distrikten, sowie den Festen und Bräuchen. Das ist ja auch völlig ok. Ein großes Stadtabenteuer darf (und sollte?) ja vielleicht auch gleichzeitig ein Setting-Band mit Informationen sein. Trotzdem nimmt dieser Teil des Buches natürlich wieder Seiten des Abenteuers weg.

Doch die entzückende Schleife um die Mogelpackung dürften wohl die Villain Lairs sein. Die geheimen Stützpunkte aller 4 Villains werden ausführlich über satte 63 Seiten beschrieben. Was nicht weiter tragisch wäre, wenn wieder wenigstens einer davon fürs Abenteuer zum Einsatz käme. Aber Pustekuchen. Die sind nur nettes Beiwerk, mit kleinen Ideen und Adventure Hooks versehen, kommen aber im Abenteuer eigentlich nicht vor.

Huh.

Dann lasst doch mal rechnen.

Dragon Heist: Das eigentliche Abenteuer

17 Seiten Einführung, Abenteuerhintergrund etc.

81 Seiten eigentliches Abenteuer, geteilt durch die 4 Szenarien, von denen man sich eins aussucht.

63 Seiten Beschreibung der Stützpunkte der vier Fieslinge, die im Modul keine Verwendung finden.

27 Seiten Stadtbeschreibung (Volos Waterdeep-Leitfaden)

36 Seiten Anhänge (NPCs, Gegenstände, Handouts etc.)

Das macht 224 Seiten, von denen das eigentliche Abenteuer, das Spielleiter und Helden erleben, gerade mal 20 Seiten umfasst. 73, wenn ich Einführung und Anhänge mitzähle, die natürlich auch dazu gehören. 100, wenn ich Volos manchmal etwas ausufernden Stadtführer mitrechne.

100 von 224.

Und genau da spalten sich die Lager vermutlich in zweierlei Arten von Spielleitern:

Diejenigen, die es als unglückliches oder „besonderes“ Abenteuer-Design mit „hohem Wiederspielwert“ bezeichnen.

Und die anderen, wie mich, die es eher als Mogelpackung empfinden. Oder bei denen es nach einem kurzen und wenig epischen Abenteuer einen faden Nachgeschmack hinterlässt.

Denn vergleichen wir doch mal mit einem anderen Top-Modul. Ein Kumpel spielt parallel zu mir Tomb of Annihilation.

256 Seiten vollgestopft mit epischer Indiana-Jones-Dinosaurier-Weltrettungs-Action, die die Charaktere von der 1.-11. Stufe begleitet.

Gegen 100 Seiten „ganz amüsante Schnitzeljagd“, auf der die Charaktere maximal die 5. Stufe erreichen.

Beide Module kosten 50€ (oder 40 Dollar).

Muss ich jetzt wirklich noch sagen, wo jemand sein Geld investieren sollte?

Eigentlich hatte ich mich nur für Dragon Heist entschieden, weil wir ein Kaufabenteuer für den Urlaub brauchten und im Vorfeld für ein „Stadtabenteuer“ abgestimmt wurde. Beim Durchblättern der Villain Lairs im Comicladen hatte ich damals Blut geleckt, aber ohne zu ahnen, dass sie gar nicht Teil des Abenteuers sind.

Aber Thilo, die Lairs können doch trotzdem benutzt werden für Follow Up-Abenteuer!?

Klar, dazu sind sie ja auch gedacht.

Aber wenn ich nur ein paar coole Settings, Orte oder Story Hooks suche, dann google ich ein paar Minuten und improvisiere den Rest selbst. Dafür brauche ich kein 50€-Kaufabenteuer.

Wenn ihr so gestrickt seid, wie ich, dann möchtet ihr als DM bei einem professionellen Kaufabenteuer vor allem eins: Arbeit sparen. Ihr möchtet einen fahrbereiten Sportwagen haben, den ihr nur noch lenken müsst, bei minimaler Improvisation. Und nicht einen Bausatz mit gut gemeinten Tipps, wie man daraus ein Auto zimmern und Fahrspaß haben könnte.

Das fette Buch zu lesen, ist schon Arbeit und Spielleiter-Aufopferung genug.

Hinzu kommen einige „Anfängerfehler“ oder „Lazy Writing“, die ich bei einem professionellen Modul einfach nicht mehr haben möchte.

Ganz vorne mit dabei: Monster wie im Computerspiel. Oder wie in 80er-Jahre Dungeon Crawl-Modulen mit minimaler Hirnleistung. Es kommt zwar in Dragon Heist nicht übermäßig häufig vor, aber ich habe doch merklich oft Monster verändert oder einfach weggelassen, weil sie nur deplatziert wirkendes Kanonenfutter waren. In einem professionellen 50€- Abenteuer hätte ich gerne Beweggründe und eine gewisse Logik, warum in einem Raum ein Monster auf die Gruppe wartet.

Am besten waren die Goblins vor den Schießscharten im geheimen Unterschlupf in der Kanalisation. Ich meine, echt jetzt? Die Basis ist schon geheim. Und in der F****** Kanalisation! Wieviel Publikumsverkehr erwarten die da bitte? Egal, wir stellen mal ein paar Gobos ab, die Tag und Nacht vor den Schießscharten stehen und die Ratten beobachten. Die brauchen kaum was zu essen und langweilen sich bestimmt nie. Mit denen kann man es ja machen. Ich finde das rassistisch. Nur weil sie klein und grün und anders seid als ihr, Wizards? SCHÄMT EUCH! Ok, Spaß beiseite. Etwas weniger „lazy writing“ wäre im Modul ganz nett gewesen.

Hinzu kommt das vermeintlich epische Finale, wenn die Helden endlich vor dem riesigen Haufen von 500.000 Goldmünzen stehen. Komplett mit goldenem Drachen, der ihn bewacht. Was soll da bitte passieren? Auf der 5. Stufe kommt ein Kampf gegen Aurinax, einen ohnehin gut gesonnenen Drachen, kaum in Frage. Und wenn die Spieler es irgendwie schaffen sollten, sich mit ihm „zu einigen“ (Ein Gespräch mit einem Drachen ist aus Rollenspiel-Sicht zumindest immer ein Highlight), dann sollen sie der Story nach auf dem Weg nach draußen vom jeweiligen Oberschurken angegriffen werden. Sagen wir, es ist Jarlaxle mit ein paar Drow Revolverhelden. Same procedure as every year, James. Die Spieler müssen sich mit ihm verbal einigen oder sind tot. Der Drow Söldner mit Herausforderungsgrad 15 würde meine 4 „Helden“ der Stufe 5 einfach in den Boden stampfen. Aber machen würde er noch was viel Schlimmeres: Er würde sie demütigen. Nach Auffassung der Autoren im Buch sollte Jarlaxle die Helden bewusstlos schlagen und dann ohne ihre Ausrüstung und nackt in irgendeiner Gosse aufwachen lassen. HARHAR! Ihr seid DRECK, ihr erbärmlichen 5. Stufe-Halbstarken!

Natürlich sind diese NPCs nicht zum Töten und Looten gedacht, schon klar. Aber ich finde, in einem guten Abenteuer sollten – zumindest im Finale – immer alle Optionen, sprich Tricks, soziale Interaktion oder Kämpfe zum Ziel führen können. Sonst kommt schnell ein Railroading-Ohnmachtsgefühl auf, das Spieler eher doof finden. Verständlicher Weise.

Ok…

Ich möchte aber natürlich nicht nur negativ über Dragon Heist reden und diesen Artikel mit einer, wie ich finde, fairen Pro und Contra-Liste beenden. Denn natürlich hatten wir auch unseren Spaß mit dem Abenteuer und für viele DMs da draußen stellen sich die Nachteile, die ich genannt habe, vielleicht als nicht so wild dar. Als junger DM im Studium, mit Bafög und unendlich Zeit, hätte ich mich damals über die Villain Lairs sicher auch nicht weiter aufgeregt, sondern ein eigenes Abenteuer drumherum gestrickt. Aber Zeiten ändern sich.

Dragon Heist: Pro und Contra

Contra: Hatten wir nun ausreichend.

Pro:

  • Das Artwork des Buches ist wie immer 1a und erschafft eine tolle Atmosphäre.
  • Es liegt eine wirklich schöne Karte von Tiefwasser bei.
  • Es geht mehr um soziale Interaktionen, als um ausgefeilte Battle Maps und epische Kämpfe. Für Leute, die darauf stehen, bzw. gerne den Schwerpunkt darauflegen, ist es sicher tendenziell spaßiger.
  • Yay! Die Spieler bekommen eine eigene Taverne und es gibt Richtlinien zum Betreiben einer solchen.
  • Durch die 4 Fraktionen und ihre Bösewichter fühlt sich der Konflikt und das Leben in Tiefwasser sehr lebendig und reaktiv an.
  • Alle Materialien sind gut ausgearbeitet und bieten gute Anreize für mehr Abenteuer in der „Stadt der Wunder“.

Hätte ich jedoch den Umfang des eigentlichen Abenteuers geahnt, hätte ich mir wohl lieber Tomb of Annihilation, den Klassiker Curse of Strahd oder das jüngst erschienene Descent into Avernus gekauft.

Über Thilo (1200 Artikel)
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