Buchempfehlung für Eltern: Käpt’n Sharky ist mein neuer Sindbad
„Ach wissen Sie“, sagte mein Hausarzt und setzte eine entschuldigende Miene auf, „das Baby-Alter hätte ich bei meinem Nachwuchs gerne übersprungen. Ich bin mehr so der Vater ab Kleinkindalter. Wenn da mehr zurück kommt und man auch mal was Vernünftiges mit denen spielen kann. Die Windelkackerei und die Schlaflosigkeit war nicht so meins.“
Diese weisen Worte sollten mir spätestens aufstoßen, als ich für meinen Sohn beim stundenlangen Umhertragen im dunklen Zimmer das zwanzigste Mal „Völlig losgelöst von der Erde fliegt das Raumschiff…“ anstimmte. Schlaf jetzt endlich, Du mieser Bastard, hätte einem da durchaus durch den Kopf gehen können.
Etwas Erleichterung bringt tatsächlich die voranschreitende Sprachentwicklung des Kindes, gepaart mit verstärktem Interesse abends noch was vorgelesen zu bekommen. Auf diesen Part hatte ich mich im Rahmen des Vaterdaseins immer schon heftig gefreut. Die großen Augen meines Sohnes zu sehen, wenn ich ihm das erste Mal Die unendliche Geschichte oder den Hobbit vorlese, wird sicher großartig. Nur leider dauert es noch ein paar Jahre bis wir bei so viel Verständnis angekommen sind. Erstmal heißt es: Mein Freund der Busfahrer, Leo Lausemaus will nicht Zähne putzen oder Papa schmilzt das Gehirn.
Es ist, als müsste ich mich erstmal durch eine Wand aus hirnzermarterndem Bullshit lesen, bevor ich endlich ins Schlaraffenland der guten Bücher darf. Viele Väter werden sich jetzt gerade bei dem bloßen Gedanken an diese Zeit nochmal reflexartig den Colt in den Mund stecken. Wie verstörend langweilig ein Kleinkindbuch sein kann ist eine Sache, doch den wahren Horror entdeckt man erst, wenn Junior das zehnte Mal hintereinander dieselbe banale Geschichte hören möchte und sich dabei jedes Mal wieder so beömmelt, als wäre er kurz vorher von den Men in Black geblitzdingst worden.
Doch neulich im Urlaub auf Usedom wendete sich endlich das Blatt. Das Hotel bot für seine „kleinen Gäste“ ein ausgeklügeltes Piratenprogramm und begrüßte sie bereits an der Rezeption mit einem Schrecken der sieben Meere: Käpt’n Sharky vom Coppenrath Verlag.
Schnell hatten wir in einem Regal die großen, bunten Käpt’n Sharky-Bücher gefunden, von denen sich mein Sohn sofort so viele unter den Arm klemmte, wie er tragen konnte. Und schon bald durften Mama, Oma, Opa oder Tante mit dem Kleinen in See stechen und zum Einschlafen Käpt’n Sharky vorlesen. Oder am Strand. Oder einfach so.
Natürlich tat ich die Bücher, die eine Altersempfehlung ab 3 Jahren besitzen, sofort als die „übliche Kinderkacke“ ab und drückte mich um das Vorlesen. Wozu sollte ich auch mein schwaches Augenlicht noch mehr belasten? Für das Bespaßen des Enkels ist im Urlaub schließlich die Verwandtschaft da.
Doch neulich viel mir zu Hause das erste Mal der neuste Band des Nachwuchs-Piratenkapitäns in die Hand und der Fantasy-Nerd in mir war von den Socken:
Käpt’n Sharky und die geheimnisvolle Nebelinsel
Endlich Kinderbücher, die auch Erwachsenen beim Vorlesen Spaß machen!
Jutta und Jeremy Langreuter schreiben die abenteuerlichen Geschichten um Käpt’n Sharky, die im Zusammenspiel mit den fantastischen Bildern von Silvio Neuendorf ihre volle Wirkung entfalten.
Doch, was mich gerade bei Käpt’n Sharky und die geheimnisvolle Nebelinsel vollkommen überrascht, ist der Inhalt! Wenn da mal nicht jemand Fan von alten Fantasy-Filmen und –Geschichten ist…
Das ist endlich mal ein Buch, das ich meinem Sohn auch vorlesen kann, wenn ich nicht besoffen bin. Zurzeit gibt es jeden Abend ein Käpt’n Sharky-Buch vor dem Einschlafen und mein Sohn sucht sich eins aus. Doch seit wir das erste Mal zusammen bei der geheimnisvollen Nebelinsel waren, bietet mein Sohn mir häufig ganz gönnerhaft an „nochmal Papas Lieblingsbuch“ zu lesen.
Warum ich hier so übertriebene Lobeshymnen von einem Kinderbuch singe?
Vielleicht fasse ich zur Veranschaulichung mal ganz grob den Inhalt von Käpt’n Sharky und die geheimnisvolle Nebelinsel zusammen.
Sharky und seine Crew aus Menschen und Tieren (z.B. „Ratte“ der Schiffskoch) finden in einer Flaschenpost eine geheimnisvolle Schatzkarte. Sie machen sich sofort auf den Weg und fahren im Nebel durch unzählige Schiffswracks, um zu einer bisher unentdeckten Insel zu gelangen. Wer dabei noch keine King Kong-Vibes verspürt, hat wohl noch nie Filme geguckt.
Um auf die Insel zu gelangen muss die Mannschaft jedoch erstmal durch eine Höhle mit tausenden von Tausendfüßlern klettern und dabei ihren Indiana Jones-Ekel kontrollieren.
Dann treten sie hinaus in ein urzeitliches Land voller Riesenpilze, Saurier und Geysire. Getarnte Echsen, Riesenkrokodile und fleischfressende Pflanzen, aus denen sie sich nach Verschlucken wieder herausschneiden müssen, machen hier Käpt’n Sharky und seinem Freund Michi das Leben schwer. Ich war verblüfft, wie sehr mich das alles an Jul Vernes Die Reise zum Mittelpunkt der Erde (1873) oder Die geheimnisvolle Insel (1875) erinnert hat. In anderen Sharky-Büchern hatte ich zudem schon oft an Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer (1874) denken müssen. Denn so oft Käpt’n Sharky auch auf Schiffen und Inseln unterwegs ist, so häufig erkundet er auch an Bord von U-Booten fantastische Unterwasserwelten. Atlantis-artige Städte auf dem Meeresgrund, Riesenkraken und anderer Seemannsgarn werden dabei zu haarsträubenden Abenteuern für Kinder gestrickt.
Aber zurück zur Nebelinsel, auf der die Crew nun von einer Art Robinson Crusoe vor einer Gefahr gerettet und in ein Tarzan-Baumhaus gebracht wird. Von diesem Forscher stammte die Flaschenpost, die jedoch schon uralt ist. Die Crew erfährt, dass die Zeit hinter dem Nebel auf der Insel langsamer vergeht, als in der richtigen Welt. Doch bevor Sharky und Michi Tücken bewältigen müssen, wie man sie aus dem Feenreich kennt, eilen sie lieber mit dem Forscher zur der Höhle zurück, durch die sie die Saurier-Insel wieder verlassen können.
Vor dieser werden sie jedoch von einem Riesenskorpion angegriffen, der ihre Flucht fast vereitelt hätte, wenn dieser nicht wiederrum von einem Riesenvogel angegriffen und auf diese Weise abgelenkt worden wäre. Dieser Kampf hat mich sehr an eine verdächtig ähnliche Szene bei Sindbads gefährliche Abenteuer (1973) erinnert, in der Sindbad nur mit seiner Herzensdame fliehen kann, weil sich ein böser Zentaur gegen einen Greifen zur Wehr setzen muss.
Am Ende müssen Sharky und seine Freunde auf einer Riesenwelle noch einmal dem Zorn des Poseidons trotzen, bevor sie in den Sonnenuntergang fahren und „Gluglu“ trinken dürfen.
„Gluglu“ ist eigentlich nur Wasser und der Rum-Ersatz bei Käpt’n Sharky. Denn bei all dem haarsträubenden Inhalt, den ich gerade beschrieben habe, sollte eins nicht vergessen werden: Das alles ist so dargestellt und aufbereitet, dass es für Kinder zwar spannend, aber dennoch gut verdaulich ist. Und das Beste daran ist für mich, dass es endlich mal Kinderbücher sind, die ich auch als Erwachsener gerne vorlese.
Käpt’n Sharky ist bereits in mehr als 11 Sprachen übersetzt worden. Von den nunmehr 13 Büchern, von denen anscheinend jedes Jahr ein neues erscheint, sind die meisten auch schon als Hörspiele veröffentlicht worden. 2018 ist der erste Kinofilm erschienen, quasi als Fluch der Karibik für Kinder. Über diesen oder die Hörspiele kann ich jedoch noch kein Urteil fällen.
Tja, was soll ich als Fazit sagen? Wenn ich als nostalgischer Fantasy-Fan von einem Buch derart getriggert werde, berichte ich auch schon mal über ein Kinderbuch. Nerd-Eltern mit Kindern im richtigen Alter können sich Sharky und seine Abenteuer ja auf Amazon mal näher anschauen.
Es ist heiß… ich trinke jetzt auch mal etwas Gluglu, knalle die Tasse auf den Tisch, wische mir mit einer Hand über den Mund und sage seufzend „Häh!“. Wie der beinharte Käpt’n Sharky, mein neuer Sindbad.