Geheimtipp: Die verbotenen Lande – Oldschooliges Survival Pen & Paper

Es ist ein Massaker!

Um einen umgekippten Planwagen herum liegen Leichen. Die Körper wurden übel zugerichtet, teilweise hängen die Gedärme heraus. Doch, was ist das? Da bewegt sich noch jemand! Der Überlebenskünstler der Truppe (Dieb *HUST*), der was von Heilung versteht, eilt zur Hilfe und…

…hat schon bald eine Klinge an der Gurgel. Bei Wyrm, es ist eine perfide Falle! Die vermeintlichen mit Tierdärmen behangenen Leichen, erheben sich triumphierend und ziehen ihre Waffen. Drei weitere Wegelagerer tauchen aus dem hohen Gras auf und kommen näher.

Nach einem kurzen, aber leider gescheiterten Manipulationsversuchs des “Überlebenskünstlers”, trifft die Scheiße den wild rotierenden Ochsenschwanz. Ein Kampf entbrennt. So wie auch die Magierin der Truppe (Miss Wiki), die sich mit ihrem allerersten Zauber gleich mal selbst entzündet. Ein magisches Missgeschick – kann passieren.

All das habe ich mir als Spielleiter nicht ausgedacht, sondern lediglich Zufallstabellen entnommen, die vor perfiden Begegnungen und Missgeschicken nur so strotzen.

Willkommen in Die verbotenen Lande!

Dem Open-World-Survival-Rollenspiel des schwedisches Autors Tomas Härenstam, das beim Uhrwerk Verlag erstmals auf Deutsch erschienen ist.

Und, alter Schwede (sorry, der musste sein), macht das Bock!

Vielleicht versetzt Die verbotenen Lande mich und meine Stamm-Pen & Paper-Runde so in Verzückung, weil es mal was anderes, neues, aufregendes ist.

Meine D&D-Karriere war jetzt auch wirklich lang genug. Neulich noch gekrönt vom ersten wirklich sehenswerten Dungeons & Dragons-Film Ehre unter Dieben dauert sie nun schon über 30 Jahre an. Natürlich gabs da auch Vampire, Shadowrun und andere Systeme, aber im Bereich der “klassischen Fantasy” waren wir meist auf Gary Gygax’ Spuren unterwegs.

Natürlich werde ich D&D jetzt nicht für immer den Rücken kehren, doch momentan sind die verbotenen Lande einfach ein frischer Wind. Ich korrigiere: ein eiskalter, nach Tod und Verwesung riechender Wind!

Denn im Rabenland spielen wir keine durch Trefferpunktpolster, Rettungswürfe und einen Arsch voll übertriebener Fähigkeiten geschützten Helden.

Nein, wir wagen uns als Plünderer und Abenteurer in ein gänzlich unbekanntes Land, in dem es erst mal einfach nur zu überleben gilt. Und das macht überraschend viel Spaß!

Welt und Setting der verbotenen Lande

Ich liebe allein die Mystik, die durch die Vorgeschichte bzw. die Prämisse des Settings entsteht:

Dank eines bekloppten Magiers namens Zygofer, der in Kriegszeiten mit einem Dämonenportal rumgespielt hat, wurde das Rabenland 300 Jahre von einem todbringenden Nebel heimgesucht. Dies hatte zur Folge, dass alle schön zu Hause bleiben, netflixen und chillen mussten. Die ganze Spielwelt bestand also sehr bald aus kleinen, autarken, vermutlich Inzest-verseuchten Dörfchen voller gelangweilter, wenn nicht sogar, aggressiver Stubenhocker. Doch plötzlich war der Nebel über Nacht verschwunden und die Rabenlande, die nun Die verbotenen Lande genannt wurden, standen wieder offen.

Das ist also grob die Ausgangssituation: Eure Charaktere wagen sich hinaus in eine unbekannte, mystische Welt, die sie bestenfalls aus alten Geschichten oder Legenden kennen.

Auch die Völker der Welt, bzw. deren Geschichten und Eigenheiten, weichen angenehm vom gewohnten “D&D-Standard” ab.

Neben Menschen, sowie spielbaren Goblins, Orks und Wolfsmenschen, gibt es zwar die gewohnte Kost von Elfen, Zwergen und Gnomen, doch sie alle haben einen interessanten “Twist”.

Zwerge z.B. denken, dass die Sterne am Himmel Schmiedefeuer sind, die es zu erreichen gilt; Elfen sind unsterblich, zumindest bis man ihnen diesen mystischen Rubin aus der Brust reißt; und wenn sich Halblinge fortpflanzen, kommen dabei entweder Halblinge oder Goblins raus. Sprich Schwarzenegger oder Danny DeVito. Ok, der Vergleich hinkt, aber ihr versteht, was ich meine. Und aus welcher fragwürdigen Liaison Halbriesen entstehen, wollt ihr gar nicht wissen…

Die Charaktererschaffung:

… geht per Schritt-für-Schritt-Checkliste angenehm schnell und einfach von der Hand!

Volk, Beruf und Alter bestimmen Art und Anzahl eurer Fähigkeiten, Talente und Attribute.

Von letzteren gibt es vier (Stärke, Geschicklichkeit, Verstand und Empathie), an die wiederrum jeweils vier passende Skills gekoppelt sind.

Interessant sind die Einträge für Stolz und Dunkles Geheimnis.

Während der Stolz bemüht werden kann, um eine schwere Aufgabe mittels Bonuswürfel doch noch zu schaffen, dient das dunkle Geheimnis dem Rollenspiel und Erfahrungspunkten.

Diese bekommt jeder Spieler nach jeder Session nach einem einfachen Fragenkatalog “ausgezahlt” und kann dafür neue Talente einkaufen. “Wurde ein Schatz gefunden im Wert von mindestens einem Gold?” “Wurde beim Reisen ein ganzes Hexfeld durchquert?” “Wurde das dunkle Geheimnis ausgespielt?” Etc.

Das System der Verbotenen Lande:

Falls es jemand kennt: Regeln und Mechaniken basieren auf denen von Mutant: Jahr Null, Coriolis und Tales from the Loop.

Durch Vampire the Masquerade war ich bereits mit einem Würfelpool-System vertraut, mit Hilfe dessen Erfolge gewürfelt werden müssen. Nur dass hier nicht W10, sondern fast ausschließlich W6 zum Einsatz kommen. Dementsprechend gehen auch alle Zufallstabellen bis Eintrag 66.

Genial finde ich das “pushen”, bzw. “strapazieren” von Würfen. Hat dein Abenteurer keinen einzigen Erfolg (eine 6) gewürfelt, kann er sich zum Äußersten pushen und den Wurf strapazieren. Er würfelt nochmal, doch alle vorher oder nachher gewürfelten 1er zählen nun als kritische Fehlschläge! Bei Talenten nicht weiter wild, können Ausrüstungsgegenstände und Attribute jedoch Schaden nehmen. Deshalb würfelt man auch mit drei verschiedenen Würfelfarben, um Talentwürfel, Attributwürfel und Ausrüstungswürfel auseinander halten zu können.

Und dann wird es wirklich interessant!

Wer mehr Schaden auf ein Attribut nimmt, als er vertragen kann, gilt als “gebrochen.” Bei Geschick und Empathie bedeutet dies “nur”, dass der Charakter handlungsunfähig ist. Doch bei Kraft und Verstand geht es ans Eingemachte. Hier muss auf Tabellen für kritischen Schaden gewürfelt werden, was dann bei Glück nur zu Nasenbluten (Kraft) oder Alpträumen (Verstand) führt, bei Pech jedoch auch eine aufgeschlitzte Gurgel oder komplette Verblödung nach sich ziehen kann.

Nochmal: Die Verbotenen Lande ist ein düsteres Survival-Rollenspiel.

Doch keine Sorge: ohne Schatten kein Licht!

Gleichzeitig ist das Strapazieren der Würfel und das Würfeln von Fehlschlägen nämlich die einzige Möglichkeit an Willenskraft zu kommen. Und die benutzen alle Charaktere zum Einsatz ihrer besonderen Fähigkeiten.

Und das ist genial!

Ich finde dieses “Fail Forward”-System sehr lebensnah und greifbar. Ohne “Strapazieren” (Schweiß und Mühe), keine gewürfelten Einser (Leid und Lebenserfahrung) und damit auch keine aufgebaute Willenskraft (Besonderen Einsichten und Fähigkeiten).

Deswegen ist die gesammelte Willenskraft auch die Währung für Magier und Druiden, die nur damit zaubern können.

Die Magie

… ist verflucht gefährlich!

Die Regel hier ist: Magie funktioniert immer.

Wer jedoch freiwillig mehr Würfel benutzt – durch den Einsatz von mehr Willenskraft, einen arkanen Fokus etc. – kann bei Schadenszaubern z.B. mehr Schaden machen, läuft aber auch Gefahr mehr Fehlschläge zu würfeln. Und dann muss auf die Tabelle für magische Missgeschicke gewürfelt werden.

Und das WILL MAN NICHT.

Nur zur Verdeutlichung: Ein Sechserpasch bedeutet, dass die Wirklichkeit aufreißt und eine Dämonenklaue den Zauberer hinfort reißt. GAME OVER.

Im Grundregelwerk stehen Zauberern acht Magieschulen mit jeweils drei Machtgraden zur Verfügung, um sich spektakulär im Angesicht der Gruppe zu zerlegen.

Aber ich finde genau das so charmant am System.

Der Realität durch Magie seinen eigenen Willen aufzuzwingen sollte immer riskant sein. Passt eben auch perfekt zum Survival Rollenspiel.

Immerhin dürfen Magier, anders als bei vielen anderen Systemen, auch ganz normal Rüstungen tragen. Was ganz praktisch ist, wenn sie mal nicht Leib und Leben riskieren, sondern lieber mit der Camping-Pfanne zuschlagen wollen.

MONSTER! ROAR!

… sind wirklich gefährlich im Rabenland!

Zumindest alle, die Zombies, Banditen oder wilde Tiere zum Frühstück essen.

Aber auch das finde ich sehr “realitätsnah”, wenn man davon in einem Fantasy-Game überhaupt sprechen kann.

Hier werdet ihr nicht erleben, wie der Trefferpunkte-schwitzende Barbar lachend auf den Halbdrachen-Riesen zufliegt und beginnt ihn mit seinen Wirbelwind-Attacken zu zerlegen, während der Magier einen Feuerball nach dem anderen schleudert.

In Die Verbotenen Lande sind Monster wirklich gefährlich.

Gäbe es einen Oger z.B. auf der Erde, dann wäre das ein zentnerschweres Monster aus Muskeln und Zähnen, gegen das ein europäischer Ritter des Mittelalters vermutlich einfach KEINE Chance hätte – egal wie gut trainiert oder mit Eisenplatten behangen er ist.

Und das spiegelt das System auch wider.

Hier ist jeder Monsterkampf ein epischer Bosskampf, bei dem jeder in der Truppe alles geben muss: Teamwork, gute Ideen und am Ende etwas Glück.

Immerhin wird dem Spielleiter die Last des Player Killings etwas von den Schultern genommen. Niemand wird etwas sagen wie “He, wieso greift das Vieh schon wieder mich an?”, weil für die Monsterangriffe gewürfelt wird. Da kann dann was normal Starkes bis Verheerendes dabei sein. Finde ich aus Spielleiter-Sicht sehr entspannt…

Ressourcenmanagement und Hex-CrawlReisen

Was ich auch sehr an den Verbotenen Landen liebe, ist die Dynamik, die das Spiel völlig selbstständig entwickelt.

Alles kann per Zufall entschieden werden: Legenden, Begegnungen, Missgeschicke.

So kann sich der Meister eher zurücklehnen und muss weniger vorbereiten – ein gewisses Improvisationstalent natürlich vorausgesetzt.

Die sich selbst entfaltende Dynamik wird auch hervorragend durch das Reisesystem über die beiliegende Hex-Crawl-Karte befeuert.

Wenn die Gruppe reist und mal keine Nahrung oder einen Unterschlupf findet und beginnt Würfe zu strapazieren, kommen lustige Missgeschicke ins Spiel, die das Abenteuer wie von allein in die eine oder andere Richtung treiben. Die Zufallstabellen für Random Encounters tun ihr übriges.

Ressourcenmanagementist in der Wildnis immer ein Thema.

Dafür hat jeder einen Würfel für Nahrung, Wasser, Pfeile und Fackeln, den er bei Benutzung der jeweiligen Ressource würfeln und bei einer 1 oder 2 zu einem kleineren Würfel umwandeln muss. W12>W10>W8>W6>ALLE = Müde, Hunger, Pippi. Ein sehr schönes System!

Außerdem gibt es noch Regeln für den Erwerb und Erhalt einer eigenen Festung, die ich mir jedoch noch nicht näher angeschaut habe.

Das Material in der Box:

  • Zwei Lederbücher, wie alte Folianten! Hach.
  • Innen schönes Oldschool-Schwarzweiß-Artwork, wie aus ganz alten Rollenspielbüchern bekannt.
  • Legenden- und Abenteuerheft.
  • Karte (mit Klebestickern!) könnte etwas größer sein, aber tut’s.

Fazit mit Pros und Cons

Pros!

  • Durch Tabellen, Legenden und Reisemechanik wenig Arbeit und Vorbereitungszeit für Spielleiter (zumindest solche mit ETWAS Improvisationstalent).
  • Perfekt für Liebhaber von Sandboxspielen und Old School Revival.
  • Simple aber effektive Geschichte, um das Setting zu erklären.
  • Spannend und mystisch durch Ausrichtung auf Survival und Erkundung.
  • Schnelle Charaktererstellung.
  • Erinnerungswürdige, weil gefährliche Magie.
  • Dasselbe gilt für Monster.
  • Würfelpool mit “Strapazieren”-Mechanik macht Spaß.
  • Willenskraft als “Währung” für besondere Kräfte macht Sinn.
  • Schönes Material. Geiles Artwork. Fette Bücher.

Cons?

  • Unter Umständen sehr tödlich, muss man mögen/wollen.
  • Zufalls-Tabellen hier und da auch mal etwas spartanisch. Aber kein Problem: ChatGPT rasselt mir in Sekundenschnelle beliebig viele neue Ereignisse runter.
  • Ein paar seltsame Klassen: Kaufmann geht ja noch, aber Reiter? Wie ist er in der Zeit des Nebels überhaupt dazu geworden? Auf dem Dorfplatz im Kreis geritten? Lol.
  • Magiesystem mystisch, aber gewöhnungsbedürftig. Nichts für Power Player.
  • DM braucht definitiv Improvisationstalent!

Also, ich kann Die Verbotenen Lande wirklich nur Lagerfeuer-wärmstens empfehlen. Es ist ein durch moderne Würfelmechaniken aufgepepptes Oldschool-Pen & Paper, das nostalgisch werden lässt, und ein schönes dreckig-realistisches Kontrastprogramm zum üblichen heroischen “D&D-Hack n’ Slay” bietet.

Lange Zeit war das Spiel vergriffen, doch jetzt kann es endlich wieder über Amazon bestellt werden*.

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Über Thilo (1200 Artikel)
Hi, ich bin der Gründer dieses bekloppten Blogs. Außerdem Realitätsflüchter, Romantiker, Rollenspieler, Gamer, Fantasynerd, Kneipenphilosoph und hochstufiger Spinner. Manchmal jogge oder schwimme ich, doch meistens trinke ich Bier.