Shōgun (2024) ist ein ehrenvolles Upgrade der 80er Serie

Blackthorne, Toranaga und Mariko © Gate 34, Michael De Luca Productions, FXP

Fantasy-Nerds lieben das Mittelalter.

Düstere Burgen, tapfere Ritter und feuerspeiende Drachen sind einfach fabelhaft. Junge, ich wünschte, es gäbe heute noch Drachen!

Doch natürlich romantisiere ich diese Epoche und blende das meiste unangenehme Zeug aus.

Denn die Wahrheit ist, dass ich im Mittelalter aller Wahrscheinlichkeit nach bereits tot wäre. Gestorben an einer eiternden Wunde, der Pest oder „reifem Alter“. Wenn ich nicht schon in jüngeren Jahren enthauptet worden wäre – auf Befehl des Königs, der diesen „nervigen Witzbold“ endlich zum Schweigen bringen wollte…

Und bei solchen Horrorszenarien reden wir nur vom europäischen Mittelalter!

In Japan sah es teilweise noch sehr viel grimmiger aus. Praktiken wie Seppuku, die rituelle Selbsttötung, erscheinen aus heutiger Sicht wie ausgedacht. Wie kann sowas real gewesen sein?

Doch genau das war es. Ich kann es bestätigen.

Nein, nicht weil ich als Zeitreisender dabei war, sondern weil ich ein großer Fan des alten Japans bin. In der Uni habe ich ein paar Jahre Kendo gemacht und viel über Musashi, geile Katanas und die Welt der Samurai gelesen. Dabei bin ich über Praktiken gestolpert, die so barbarisch sind, dass es mich schaudert. Neben dem seltsamen Moralverständnis, nach dem es allemal besser ist, in Ehre zu sterben als in Schande zu leben, ist mir besonders gut in Erinnerung geblieben, dass Samurai ihre neuen Katanas an Bauern ausprobieren durften.

Ich meine… WTF?

Klar, man wollte ja wissen, ob der Schmied gute Arbeit geleistet hat und sich mit dem neuen Brieföffner auch vernünftig Wurst schneiden lässt. „Jo, du da, leg mal kurz die Harke weg und komm her. Ich muss was testen…“

Unfassbar.

Doch genau dieser Horror, lässt sich nun, mit dem sicheren Puffer von ein paar Jahrhunderten dazwischen, wunderbar instrumentalisieren, um Zuschauern eine genüssliche Gänsehaut zu bescheren.

Und was könnte besser zu Halloween passen, als eine…

Zeitreise ins Land der rollenden Köpfe?

Gehört das jemandem? © Gate 34, Michael De Luca Productions, FXP

Daher empfehle ich euch wärmstens Shōgun, die hochwertige Neuverfilmung des gleichnamigen Romans von James Clavell.

Schon als Teenager war ich von der 80er-Serie mit Richard Chamberlain geflashed, an die ich mich nun kaum noch erinnern kann. Ich muss mir aber nur ein paar Trailer auf Youtube anschauen, um mit Sicherheit sagen zu können: Shōgun von 2024 ist ein ehrenvolles Upgrade der 80er Serie!

Die Darsteller sind allesamt umwerfend, die Kostüme und Rüstungen authentisch und die Architektur der Städte atemberaubend. Doch was mich besonders tief in die Geschichte hineingezogen hat, ist die Atmosphäre der ständigen Bedrohung.

Mariko fasst diese in einem Gespräch mit Blackthorne ziemlich passend zusammen: „Lass dich nicht von unserer Etikette täuschen. Unseren Verbeugungen. Unseren Ritualen. Der Tod umgibt uns. In der Luft, im Meer und in der Erde. Vergiss nicht: Wir leben und wir sterben. Alles andere steht nicht in unserer Macht.“

Die Spannung der Serie, die ohnehin schon durch die Story getragen wird, dass ein Engländer in einem fremden Land strandet und dort um sein Überleben kämpfen muss, erhält durch die strikten Riten und Glaubenssätze des alten Japans besondere Brisanz.

Alles ist so herrlich gruselig: Die strengen Blicke der Feudalherren, die von ihren Untertanen blinden Gehorsam fordern. Die Samurai, die stets eine Hand am Griff ihres Schwertes haben. Und nicht zuletzt die Sprache, die für den Normalsterblichen Zuschauer die düstere Atmosphäre zum Überschäumen bringt. Für das europäische Ohr klingt Japanisch einfach so, als ob die Akteure die ganze Zeit schimpfen und fluchen würden. Da wird jedes „Guten Morgen. Schönes Wetter. Ich wünsche einen schönen Tag!“ zu einem „Dein Kopf. Wieso sitzt er noch auf deinen Schultern? Stirb, Bastard!“

Manchmal kann es fast anstrengend sein, ständig Untertitel lesen zu müssen. Doch das ist es wert. Die Samurai müssen einfach japanisch sprechen, um die Fremdartigkeit und Bedrohlichkeit des Landes zu unterstreichen.

Trotzdem schafft es Shōgun die für eine gute Geschichte notwendigen Kontrastpunkte zu setzen. Dafür bietet sich natürlich der „Clash of Cultures“ an. Wenn die Wertvorstellungen von Blackthorne mit denen der Samurai kollidieren, wird es manchmal unfreiwillig komisch. Trotzdem dient jede humorvolle Auflockerung der Handlung nur dazu, die umgebende Dunkelheit mit ein paar Lichtpunkten hervorzuheben.

Ihr merkt schon: ich bin absoluter Fan der Atmosphäre von Shōgun.

Darum will ich auch weder die Handlung, noch bestimmte herausragende Szenen spoilern.

Bingewatched die Serie einfach selbst! Zehn Mal eine Stunde warten auf euch.

Und Nachschub ist auch schon garantiert. Denn was ursprünglich als Miniserie konzipiert war, ist aufgrund des Erfolges bereits um zwei Staffeln verlängert worden.

Da die Geschichte der Literaturvorlage jedoch schon nach Staffel 1 auserzählt ist, bleibt abzuwarten, ob man noch weitere spannende Intrigen aus dem Samurai-Helm zaubern kann.

Ich für meinen Teil werde auf jeden Fall wieder ehrfürchtig einschalten. Mit Todesverachtung. Und Bier.

Über Thilo (1206 Artikel)
Hi, ich bin der Gründer dieses bekloppten Blogs. Außerdem Realitätsflüchter, Romantiker, Rollenspieler, Gamer, Fantasynerd, Kneipenphilosoph und hochstufiger Spinner. Manchmal jogge oder schwimme ich, doch meistens trinke ich Bier.