Midsommar – Skandinavischer Folk-Horror und Dark Comedy

Midsommar (2019) © A24

7 von 10 Blumen des Wahnsinns

SPOILER! Da der Film von 2019 ist, soll das Folgende eher Diskussionsstoff sein für Leute, die Midsommar ebenfalls schon gesehen haben.

Man muss das ja auch irgendwie alles positiv sehen:

Da alle Kinos Pandemie-bedingt geschlossen haben, bleibt in der häuslichen Quarantäne endlich mal genug Zeit umjubelte, aber verpasste Filme der jüngeren Vergangenheit nachzuholen.

Eigentlich bin ich ja kein Vollblut-Horrorfilm-Fan und schaue nur sehr ausgewählte Werke an. Doch da ein Freund neulich von dem Film schwärmte und ich durch die Dänemark-Folge der Sendung mit der Maus noch ganz geil auf Lakritz und Skandinavien war, habe ich mir das Mystery-Horror-Drama Midsommar von Ari Aster über Amazon Prime angeschaut.  

Puh. Gar nicht so leicht den Film zu bewerten, was vermutlich schon ein Qualitätsmerkmal ist. Was der Hereditary-Regisseur da abgeliefert hat, hätte der berühmte Psychonaut, Terence Mckenna, entweder geliebt oder gehasst.

Doch auch wenn die Haupthandlung des Films mit einem Psilocybin-Trip durch Magic Mushrooms beginnt, ist Midsommar so viel mehr als ein extravaganter Drogentrip. Der Film hat fein in sich verwobene Bedeutungsebenen, zu denen ich erst lange nach dem Schauen durch gedankliches Aufarbeiten Zugang bekomme.  

Eins mit der Natur werden, Willkürlichkeit von Regeln oder religiöser Fanatismus sind nur einige der Themen. Besonders prägnant war für mich zum einen die Versinnbildlichung von Loslassen; wie schwer es sein kann geliebte Menschen gehen zu lassen, sei es bei einem Todesfall, oder bei der Trennung von einem Partner. Und zum anderen die Darstellung der Fragilität geistiger Gesundheit und Schmerzverarbeitung; wie wir uns oft nicht erlauben können zu trauern und stattdessen nach immer neuen Zerstreuungsmöglichkeiten suchen, anstatt sich der inneren Dunkelheit einmal zu stellen.

Ohnehin trieft Midsommar Symbole wie eine Blume im Frühling ihren Nektar. Dabei nehmen zu Beginn des Films Bilder an den Wänden von Danis Wohnung die Handlung schon Tarot Karten-artig vorweg. Die Krönung dabei: Das ganz zu Beginn des Films eingeblendete Gemälde zeigt die gesamte Handlung des Films! Das fällt mir natürlich erst nach dem Schauen auf, macht Ari Aster aber zum ungekrönten Spoiler-König. Gleichzeitig ist es wieder ein Symbol für die Kreisförmigkeit und Unausweichlichkeit aller Dinge – eine weitere Bedeutungsebene des Films.

Und genau darum kann ich auch verstehen, warum einige Leute den Film lieben und andere ihn vielleicht sogar fast hassen: Er tänzelt mit seinen Bildern und Runen verträumt-melancholisch zwischen philosophischer Tiefe und prätentiöser Oberflächlichkeit.

Mich hat es insgesamt jedoch abgeholt, weil Herr Aster alles einfach wunderschön in Szene gesetzt und lieber mit verstörenden Bildern anstatt billigen Jump Scares gearbeitet hat.

Mit Midsommar hat er einen wilden Mix aus alten, realen Bräuchen, Folklore verschiedener Länder, Religion, Spiritualität und ganz eigenen Ideen geschaffen.

Faszinierend ist, dass er es schafft so viel „Dunkelheit“ ohne eigentliche Dunkelheit im Film zu verbreiten. Denn da die Sonne so weit im Norden nicht richtig untergeht und wir uns ständig im Sonnenschein und der ausufernd guten Launen der Dorfbewohner suhlen, muss der Horror aus anderen Ritzen kriechen. Die grausamen Bräuche der Sekte bekommen im gnadenlosen Licht des Tages eine ganz andere Prägnanz. Das Verstörendste an Midsommar ist für mich, dass der Film Themen wie Familie, Zusammenhalt und Naturverbundenheit mit absolut grauenvollen Bräuchen aus der heidnischen Unterwelt vermischt. Die ganz persönliche Hölle, welche die trauernde Dani selbst mit ins Dorf bringt, tut ihr Übriges.

Schon als die Akteure bei ihrer Anreise unter dem Banner von Hälsingland durchfahren, war ich von der Bildsprache des Regisseurs beeindruckt. Die Kamera dreht sich um 180 Grad und damit die Welt der Urlauber sprichwörtlich und metaphorisch auf den Kopf. Großes Kino.

Warum ich trotzdem meine Vorbehalte bei Midsommar habe, lest ihr im Folgenden.

Lachen in einem ernstzunehmenden Horrorfilm?

Halt still, ich habe ein altes Hausmittel dabei… Midsommar (2019) © A24

Als reinrassiger Horrorfilm hat Midsommar bei mir insofern versagt, als dass ich verblüffend oft laut lachen musste. Natürlich kann es auch einfach sein, dass ich ein krankes Schwein bin, doch wenn ich beim Ättestupa, dem Klippensprung für Greise, jemanden mit einem Conan-Holzhammer in der Menge sehe, dann muss ich einfach lachen und ahne schon, wozu der Mann vor Ort ist. Der „Ættestup“ wurde ja auch schon bei den Norsemen wunderbar auf die Schippe genommen…

Oder wenn der einheimische Pelle von einer romantischen Liebesgeschichte erzählt und dabei auf Bilder zeigt, die eine Frau bei der Intimrasur zeigen, dann muss ich einfach losprusten.

Doch vorläufiger Höhepunkt (no pun intended) war diesbezüglich die erzwungene Befruchtung einer Dorfbewohnerin. Schon witzig genug in einem Halbkreis aus rhythmisch grunzenden Frauen zu vögeln, die sich die Brüste kneten als ginge es um Milchgewinnung. Doch als dem von Sinnen rammelnden Christian plötzlich eine Frau laut ins Ohr singt, brachen bei mir alle Dämme. Und als wäre das beim Rammeln nicht verstörend genug, kommt dann noch diese fettleibige Alte und schiebt an seinem Popo an, damit er mal langsam zum Abschluss kommt. Da war ich zwischen Tele5-Lederhosen-Softporno und Horrorfilm doch etwas hin und her gerissen.

Ich könnte jetzt noch von der Apparatur erzählen, die original wie das Ziehungsgerät der Lottozahlen aussieht, mit dem allerdings ermittelt wird, wer sich in der Blüte seines Lebens feierlich selbst abfackeln darf, aber ich denke, ich habe meinen grinsenden Standpunkt klar gemacht.

Interessanter Weise hat Ari Aster, als er in einem Interview nach dem Genre seines Films gefragt wurde, etwas unschlüssig „vielleicht Dark Comedy“ gesagt. Unter dieser Prämisse sehe ich die Szenen, die zwischen Horror und Komödie schwanken, natürlich mit viel wohlwollenderen Augen. Der Mann ist sich der „Eigenarten“ Seines Werks also durchaus bewusst.

Zur (unfreiwillig) komischen Seite von Midsommar kommt für mich jedoch noch das teilweise ETWAS fragwürdige Verhalten der Figuren. Ob dieses Drogen-induziert oder einfach so gescripted war, muss wohl jeder Zuschauer für sich entscheiden.

Die Story – Mushroom Trip oder Lazy Writing?

Ein Klischee im (trashigen) Horrorfilm ist ja bekanntlich, dass die Akteure eher oberflächlich oder sogar unsympathisch angelegt werden, damit der Zuschauer kein Problem damit hat, wenn diese der Reihe nach ins Gras beißen.

Und auch bei Midsommar gibt es, abgesehen vom Mitleid für die um den Tod ihrer Angehörigen trauernde Dani, wenig, was die Charaktere für uns sympathisch macht. Doch das ist auch total ok so. Denn wir wissen ja, dass wir einen Horrorfilm gucken und die Truppe sowieso unterwegs ins Dorf der Bekloppten ist.

Anfänglich wissen wir jedoch noch nicht, dass Pelle seine Kommilitonen nicht einfach nur zu einem fröhlichen Volksfest einlädt, sondern sie eher, wie der Rattenfänger von Hameln, in die Fänge seiner Sekte lockt, wo sie zur Paarung, als Menschenopfer oder Dünger dienen sollen. Oder alles zusammen.

Letztlich kann ja auch keiner der Studenten all den Horror vermuten, als sie durch das lebensbejahende Sonnentor in das kleine Dörfchen am Arsch der Welt treten.

Doch spätestens wenn zwei alte Menschen über den Rand einer Klippe entsorgt und mit einem Hammer zu handlichen Briketts gekloppt wurden, hätten ich mich mit meinen Freunden freundlich empfohlen und dann schreiend das Weite gesucht. Das tut aber nur das englische Pärchen (es scheinen also zumindest mal nicht alle auf Droge zu sein), von denen einer auf der Stelle kotzt und der andere ankündigt am nächsten morgen sofort abzureisen. Die Amis finden den Omi-Drop aber noch ganz ok, schließlich muss man ja auch offen für andere Bräuche sein. 

Am nächsten Morgen ist dann angeblich der Engländer ohne seine Freundin abgereist. Die Erklärung eines Dörflers dazu klingt mehr als fadenscheinig und wenig später ist auch die Freundin „abgereist“. Ich frage mich als Zuschauer natürlich, was mit denen wirklich passiert ist? Die Amis jedoch nicht. Alles knorke in Cliff Dive Village.

Erst als der Gruppen-Alki Mark an den Baum der Ahnen pinkelt und ebenfalls verschwindet, kommt es zu verwirrten Gesprächen zwischen den drei verbliebenen Amis. Doch anstatt auf Dani zu hören und vielleicht mal zu investigieren, haben Christian und Josh nur noch im Kopf, wie sie eine bessere Diplomarbeit über das Dorf der Bekloppten schreiben können als der andere. Vielleicht hätte denen mal jemand stecken sollen, dass beim Taxifahren oder Fritten verkaufen Note und Thema der Diplomarbeit irrelevant sind.

Als Josh etwas zu übereifrig wird und Fotos von der Bibel der Bekloppten machen will, wird er vom Dorforakel erschlagen und entsorgt. Als Dani ihren Christian fragt, ob es nicht seltsam sei, dass sie nun nur noch zu zweit sind, antwortet er darauf, „dass er sich über sowas einfach keinen Kopf macht“. Doch damit endet seine geistige Umnachtung natürlich nicht.

Während Dani am Ringelpiez mit Umfallen teilnimmt, bekommt er einen Becher mit dem Äquivalent von KO-Tropfen gereicht. Die Dame gibt sogar zu, dass es eine Droge ist, die ihn vollkommen enthemmen soll. Daher lehnt Chris ab, „da er keinen Bock auf einen weiteren schlechten Trip hat“. Ich atme auf und freue mich über den Funken von Intelligenz in der Dunkelheit von Christians Hirn. Doch dann reicht die Dame ihm den Becher erneut und sagt, dass alles super und unbedenklich ist. Also, das hätte mich natürlich auch überzeugt. Demensprechend zuckt Chris mit den Schultern und trinkt trotzdem. Was soll hier, im Dorf der Gestörten, unter KO-Tropfen schon passieren?

Wenig später findet er sich in der Haut eines frisch ausgehölten Bären wieder und muss, dank seiner eifersüchtigen Freundin, mit seinen ausgestopften Vogelscheuchen-Freunden bei lebendigem Leib in einer dreieckigen Scheune verbrennen. Well, that escalated quickly…

Wenigstens empfinde ich kein Mitleid mit den brennenden Vollpfosten, frage mich jedoch, ob das im Rahmen einer „Dark Comedy“ gewollt oder unfreiwillig ist.

Ist Midsommar jetzt gut oder schlecht oder…?

Also: Für mich ist Midsommar trotz einiger Lobpreisungen in der Presse kein tadelloses Meisterwerk. Gerade unter dem Aspekt des unfreiwillig Komischen und den nicht immer nachvollziehbaren Handlungen der Figuren.

Doch es ist ein sehr mutiger und brillant in Szene gesetzter Film mit einer Musik, die in jeder Szene die Emotionalität perfekt unterstreicht, und einem in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Setting. Hier ist ein unschuldiges Volksfest plötzlich der Wolf, bzw. der Bär, im Schafspelz. Oh, schon wieder ein Symbol! Diesmal für Christian, der Dani lange den verständnisvollen Freund mimt, obwohl er nur nach einem Weg sucht mit ihr Schluss zu machen.

Midsommar bleibt auf jeden Fall lange im Kopf und ist, nicht nur durch sein Setting, unter den Horrorfilmen etwas Besonderes.

Ich habe Ari Aster nun auf jeden Fall permanent auf dem Schirm und überlege nun auch sein Debütwerk von 2018, Hereditary, nachzuholen.

Über Thilo (1200 Artikel)
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