Vampire the Masquerade 5. Edition TEST mit Hammer und Pflock

Alle Bilder im Artikel © Modiphius Entertainment bzw. White Wolf

Dieser Test bezieht sich auf die englische Variante.

DSA und Midgard waren meine ersten Gehversuche im Land der Rollenspiele, bis ich mich bei AD&D schließlich zu Hause fühlte. Dunkle Kerker plünderten und Drachen erschlugen wir, bis sich Anfang der 90er eine gewisse „High Fantasy-Müdigkeit“ eingestellt hatte. Der Cyberpunk von Shadowrun war eine willkommene Abwechslung in System, Setting und Atmosphäre. Zumindest so lange, bis ein Freund plötzlich eine Scheibe grünen Marmor mit einer Rose darauf vor mir auf den Tisch legte.

Vampire the Masquerade!

Wow, was zum Teufel war das denn?

Wie ich herausfinden sollte, hatte es ein gewisser Mark Rein-Hagen mittels Storyteller-Systems und einer göttlichen Fantasie geschafft Vampire cool zu machen. Er hatte sich die Blutsauger verschiedener Mythologien und popkultureller Erscheinungen gekrallt und daraus die Vampir-Klans erschaffen, die uns wohl nie mehr aus dem Kopf gehen werden. Die rebellischen Bruja könnte er aus Near Dark – Die Nacht hat ihren Preis (1987) entnommen haben, während Ann Rice und das Interview mit einem Vampir (1994) fast garantiert die Toreador inspiriert hat.

Leider habe ich damals nie am Vampire Live LARP teilgenommen, das auch hier in Bonn eine recht aktive Szene hatte. Oder auch glücklicherweise, denn in gewissen Kreisen spielten die Leute – wie mir von Insidern versichert wurde – keine tragischen Untoten, sondern „Menschen mit langen Zähnen“.

Viel besser haben wir es im Pen & Paper jedoch auch nicht gemacht. Wir spielten unsere Toris mit Geschwindigkeit, Bujas mit Stärke und Gangrel mit Gestaltwandel eher wie schlagkräftige Helden einer düsteren D&D-Runde. So einfach kann wohl niemand seine Wurzeln verleugnen. Trotzdem gab es nie mehr Grusel und Atmosphäre als in Vampire.

Umso gespannter war ich natürlich auf die 5. Edition von Vampire the Masquerade, von der ich mir nun endlich das über 400 Seiten starke Buch geleistet habe. Insbesondere, nachdem 2004 das Reboot, Vampire: The Requiem, viele Fans der alten World of Darkness, mich eingeschlossen, eher vor den Kopf gestoßen hatte.

Vampire 5e – Mein erster Eindruck

Die melodramatisch dahinsiechende Frau (Vampir?) auf dem Cover kommt natürlich nicht an die schlichte Schönheit des grünen Ursprungswerks heran. Doch man sollte ein Buch ja bekanntlich nicht (nur) nach seinem Einband beurteilen.

Schlagen wir es mal auf.

Oh, es fängt schon sehr gelungen an. Die ersten und letzten Doppelseiten des Buches sind mit 50 typischen Vampiropfern tapeziert und der Humor zwischen den Zeilen hat mich sofort für sich gewonnen. Die armen Pfarrer… hahaha.

Doch die Opfer sind nicht nur Fluff, sondern fester Bestandteil eines neuen ausgeklügelten „Nahrungssystems“ für die Vampire. Die Vier-Säfte-Lehre aus der Antike war mir im Studium schon mal begegnet und es wurde auch Zeit, dass sie endlich eine vernünftige Verwendung findet. Fortan macht es für euren Blut-Gourmet nämlich einen Unterschied, ob er ein melancholisches, sanguinisches, cholerisches oder phlegmatisches Opfer aussaugt. Da es bei Vampire ja grundlegend um Blut als den Katalysator für alles im Leben eines Vampirs geht, finde ich diese Idee vorzüglich.

Sehr schön ist auch die Einführung in die Welt der Vampire gelungen. Mit ausgeschnittenen Zeitungsberichten, rausgerissenen Buchseiten, Handyfotos und Chat-Verläufen wurde die Maskerade der Vampire erfolgreich aus den 90ern in die Welt von 2020 überführt. Sehr atmosphärisch, well done.

Vampire 5e – Die Spielwelt

Der Sabbat ist endgültig in die Schatten gedrängt worden. Vermutlich haben die Antitribu-Klans gemerkt, dass das ungestüme Ausleben der vampirischen Natur dazu führt, von Vampirjägern, Militär und anderen Kreaturen der Welt der Dunkelheit gejagt und vernichtet zu werden. Tja, dann waren die Camarilla-Anhänger mit ihren Traditionen und ihrer Maskerade wohl doch nicht nur „verklemmte Deppen“, was?

Der Basiskonflikt der V5 ist damit ein zeitgemäßer Konflikt geworden. Statt des Disputs zwischen Maskerade (Camarilla) und Ablehnung dieser (Sabbat), stehen sich nun die Anarchen als rebellische Jünger des technisch geprägten Internet-Zeitalters und die Camarilla-Verfechter von altem Wissen und Tradition gegenüber.

Passt mir sehr gut, da ich das Handeln des Sabbats in Hinsicht auf ein längeres Überleben als Vampir immer ein wenig unlogisch fand. Als dämonische Gegner in ausgewählten Schatten gefällt mir die Fraktion viel besser. Damit bereichern sie neben der zweiten Inquisition und anderen zwielichtigen Fraktionen den Pool der Antagonisten.

Vampire 5e – Regeln und die Sache mit dem Hunger

Das Storyteller System gestaltet sich im Grunde unverändert. Der Würfelpool eines Standardwurfs setzt sich aus Attribut plus Fertigkeit zusammen. Gewürfelt wird mit zehnseitigen Würfeln, nun jedoch, erfreulicher Weise, gestreamlined gegen eine Schwierigkeit von 6. Kein seltsames Jonglieren von Schwierigkeit und Erfolge-Anzahl mehr.

Genial und echtes Spot Light der V5 ist das neue Hungersystem. Früher war Blut mehr so eine Währung für Vampire, mit der sie sich „voll machen“ und Disziplinen bezahlen konnten. Nun bestimmt der Hunger nach Blut viel direkter den Nachtablauf eines Vampirs, ganz so, wie es sein sollte. Denn umso hungriger ein Vampir wird, desto gefährlicher wird es für ihn und seine Umwelt. Für jeden Hungerpunkt (max.5) muss der Spieler bei Proben Würfel aus seinem Pool gegen Hungerwürfel austauschen. Zeigen diese Würfe kritische Erfolge oder Fehlschläge, bricht das innere Tier des Charakters aus und erzielt bestialische Erfolge (messy criticals) oder bestialisches Scheitern. Bei letzterem können die typischen Klan-Nachteile aktiviert werden, welche damit sehr schön im System instrumentalisiert wurden.

Da die Schwierigkeit nun immer 6 ist, kann bei einem W10-Wurf einfach zwischen Erfolg und nicht-Erfolg unterschieden werden. Das ermöglich ganz eigene Würfel, die einfach schicker sind und viel schneller abgelesen werden können; besonders die stylischen roten Hungerwürfel:

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Gut finde ich auch, dass die Macht eines Vampirs sich nun in erster Linie durch „Blood Potency“ (Blutmacht?) herleitet. Früher fand ich es immer etwas nervig, sich als Spieler einen Vampir von älterer Generation suchen und diablerieren zu müssen, um mächtiger zu werden. Das ist zwar immer noch möglich, durch das Story-technische Verschwinden der Ahnen jedoch sehr unwahrscheinlich geworden. Hinzu kommt, dass alle Disziplinen überarbeitet wurden und teilweise auf den ersten Stufen schon ziemlich mächtig sein können.

Vampire 5e – Die Lore Sheets!

Malkavianer sind hot

Eine tolle Idee finde ich die verschiedenen Geschichten aus der vergangenen Welt der Dunkelheit als Story-Anker und Fähigkeiten bereitzustellen.

Daraus erwachsen schöne Möglichkeiten für den Spielleiter, um eine Chronik interessanter zu machen. Wie schon in meinem ersten Blick auf die neue V5 erwähnt, kann es herrlich haarsträubend werden, wenn ein Spieler zufällig ein Fläschchen mit dem Blut des Ravnos-Antediluvians bei sich trägt.

Sogar an die Fans der Computerspiele wurde gedacht. So könnt ihr auch Punkte bei einem Metaplot von Vampire Bloodlines verteilen und die ikonische Jeanette bzw. Therese Voerman zu euren Kontakten zählen. Bei 5 investierten Punkten dürft ihr sogar euer eigenes Asylum-Nachtclub-Franchise aufmachen. Sehr geil.

Vampire 5e – Charaktere und Klüngel erschaffen

Die Charaktererschaffung sieht gewohnt einfach aus, wenn man sich an die neuen Punkte gewöhnt hat.

Neu ist die optionale Erschaffung eines Klüngels (Coterie), die ich für eine mega Idee halte.

Die Spieler setzen sich zusammen und überlegen, warum sich ihre Vampire in einer Gruppe zusammengerauft haben. Letztlich nehmen sie damit eine „Session Zero“ vorweg und bereiten die Bühne vor.

Dazu werden verschiedene Klüngel-Motive an die Hand gegeben, die allesamt die Imagination anregen. Mit „Cerberus“ z.B. bewachen die Vampire einen heiligen Ort, eine Person oder ein mächtiges Artefakt. Oder die Spieler werden „Nomads“ und ziehen als Rockband, Theatertruppe oder blutrünstige Zeugen Jehovas durchs Land (höhö). Im Grunde ist für jeden Spiel-Stil etwas dabei. Sehr cool.

Vampire 5e – Artwork, Layout und Design

Neulich habe ich nochmal das gute alte „grüne Buch“ von 1991 durchgeblättert. Ich hatte es wohl etwas zu sehr romantisiert, denn das Artwork war weitaus schlechter, als ich es in Erinnerung hatte. Trotzdem war es durchgängig schwarzweiß und sehr „Gothic“, was sehr zur Atmosphäre des Buches beitrug.

Das V5-Buch darf als gelungene Mischung von Zeichnungen und Fotos bezeichnet werden. Gerade letztere sind wohl auf ein LARP-Publikum zugeschnitten, was auch das kleine Unterkapitel „Kindred Fashion“ unterstreicht. Allerdings bin ich bei den Fotos sehr hin und hergerissen.

Da ist für MEINEN Geschmack alles von super bis albern dabei. Die Fotos zu Beginn jedes Klans sind z.B. genial gewählt und übertrumpfen die Schwarzweiß-Skizzen des alten Buches locker. Siehe hier Bruja und ein anderes Foto aus dem Buch.

Doch auf der anderen Seite wirken manche Fotos für mich fast deplatziert und tragen kaum zur Atmosphäre eines Vampir-Buchs bei. Eine Blondine mit mystischem Anhänger, zwei Emos unter einer Brücke oder verstrahlte Party-Teens machen für mich noch keine glaubwürdigen Untoten. Und welcher ARSCH hat bitte die arme Oma zum Vampir gemacht?

Hält sich die ältere Dame da einen Ghoul oder eine Stehlampe mit Diskoglitzer?

Aber, wie gesagt, ich bin noch nie Zeuge eines Vampire LARPs geworden. Vielleicht sollen die Fotos auch ein wenig die Realität eines solchen LARPs widerspiegeln und die Erwartungen nicht in unerfüllbare Höhen schrauben. Dafür sprechen auch manche der Charakterbeispiele, die für mich ebenfalls von super bis albern alles bedienen. Hier am Beispiel der hässlichen und entstellten Nosferatu:

Cappy, Vollbart oder Phantom der Oper-Maske machen für mich noch nicht zum Nosferatu… Die sehen für mich eher wie verkleidete Deppen aus, die bei den Nosferatu unentdeckt bleiben wollen.

Auch das Layout hätte etwas besser mit vorhandenem Platz umgehen können. Teilweise ist ein so fetter Rand um die Textblöcke, dass sich meine altersschwachen Augen schon anstrengen müssen. Immerhin kommt das vielleicht der deutschen Übersetzung zu Gute, die ja meist etwas mehr Platz für unsere klobige Sprache benötigt.

Und schließlich bin ich auch etwas ungehalten über das alternative Cover, welches ich gerne als Standard gehabt hätte. Ja, ich verstehe, dass auch Geld verdient werden muss. Aber ich zahle trotzdem nicht über das Doppelte für das exakt gleiche Buch, selbst wenn die Variante mit dem weißen Marmor sogar die grüne Vintage-Version schlägt.

Die rechte Variante ist so viel hübscher und teurer…

Vampire 5e – Pros, Cons und Fazit

Pro:

Wer das Print-Buch erwirbt, kann vorab bereits das PDF herunterladen und erhält auch ein Desktop-Wallpaper.

Bluttypen und die Vier-Säfte-Lehre

Erschaffung eines Klüngels

Stimmiges Hungersystem für die Vampire

Einfachere Proben

Die neuen geilen Würfel!

Menschlichkeitsanker

Weiterentwickelte Geschichte und Lore Sheets

Wichtige Überarbeitung der Disziplinen

Contra:

Meckern auf hohem Niveau, aber Layout und Foto-Wahl hätten noch besser sein können. Ist aber auch Geschmackssache.

Fazit:

9 von 10 Blutsaugern des Informationszeitalters

Trotz der Tatsache, dass ich das Buch bisher nur durchgearbeitet, aber noch keine neue Runde gespielt habe, besitze ich genug Abstraktionsvermögen, um sagen zu können, dass die V5 ein technisch unkompliziertes und erzählerisch gelungenes Rollenspiel mit Gothic-Punk-Atmosphäre ist. Sogar mehr noch als sein mächtiger Vorfahre.

Die neue Edition schafft es Survival Horror in allen Bereichen des Vampir-Daseins greifbar werden zu lassen. Dabei scheint mir das neue Hungersystem als Dreh- und Angelpunkt sehr gelungen zu sein.

Bis auf die leichten „Layout-Schwächen“ möchte ich Vampire the Masquerade 5. Edition als erfolgreiche Wiedererweckung des Klassikers empfehlen. Englische Variante könnt ihr hier bekommen.*

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Über Thilo (1197 Artikel)
Hi, ich bin der Gründer dieses bekloppten Blogs. Außerdem Realitätsflüchter, Romantiker, Rollenspieler, Gamer, Fantasynerd, Kneipenphilosoph und hochstufiger Spinner. Manchmal jogge oder schwimme ich, doch meistens trinke ich Bier.